KEEP ON TRUCKIN‘

Die andere Seite des Robert Crumb

Von Andreas C. Knigge

Angefangen hat alles mit Janis Joplin. Die ist begeistert von seinen Comics und er von ihren Brüsten. »Klar kann ich das tun«, erwidert Robert Crumb, als er hört, dass die Sängerin sich für das zweite Album von Big Brother and the Holding Company ein Cover von ihm wünscht – »dafür will ich ihr dann aber auch in die Zitzen kneifen dürfen.«

Es ist das Frühjahr nach dem »summer of love«. Wenige Wochen zuvor hat Crumb bei einem Straßenfest in San Franciscos Haight-Ashbury-Viertel erstmals sein zuvor im Keller eines Freundes gedrucktes Heft ZAP Comix verkauft, aus einem Kinderwagen heraus, und damit eine Sensation entfacht: Derart ausgeflippte Comics hat es noch nicht gegeben. Das Big-Brother-Album soll Sex, Dope & Cheap Thrills heißen, da scheint alles zu passen.

»Sie hatte eine tolle Stimme«, meint Robert Crumb. »Aber was Janis gemacht hat, bevor sie mit diesen Big-Brother-Trotteln anfing, Country und Blues, war um Längen besser.« Tatsächlich zeigt er sich gänzlich unberührt von den neuen Klängen einer neuen Zeit und sammelt stattdessen Jazz-, Country- und Bluesaufnahmen, eine Leidenschaft, die früh begann. »Es war 1959, ich war fünfzehn, als ich das erste Mal Happy Days and Lonely Nights von Charlie Fry and his Million Dollar Orchestra hörte. Das war eine Offenbarung, nach zehn Sekunden wusste ich: Das ist es! Das ist die Musik, nach der ich immer gesucht hatte! … Und es gibt sie nur auf diesen alten Schellackplatten.«

Robert und Janis treffen sich schließlich im Fillmore West. Darüber, was aus dem Kneifen wurde, kursieren unterschiedliche Versionen, aber sie mögen sich auf Anhieb. Das Cover jedoch bereitet Probleme, da Columbia Records die Zeichnung, auf der die Bandmitglieder nackt in der Badewanne posieren, ebenso ablehnt wie den geplanten Titel des Albums. Der wird schlicht zu Cheap Thrills und als Cover dient am Ende eine Crumb-Zeichnung im Comic-Stil, die ursprünglich als Rückseite gedacht war. Die Platte erscheint im August 1968 und steht acht Wochen später auf Platz eins, Crumbs Cover wird berühmt wie das von Abbey Road oder Dylans Self Portrait.

Vor allem aber führt Cheap Thrills dazu, dass Crumb nun regelmäßig Plattenhüllen gestaltet – der Band R. Crumb: The Complete Record Cover Collection (W.W. Norton & Co, 28 Dollar) versammelt 2011 schon 450 seitdem. Meist für Neuveröffentlichungen vergessener Musiker aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren wie Kansas Joe and Memphis Minnie oder Eddie Lang sowie Cover für aktuelle Kapellen im Stil jener Tage. Und natürlich seine eigenen Bands, allen voran die Cheap Suit Serenaders, deren Platten mit 78 Umdrehungen erscheinen, obwohl das in den Siebzigern kaum noch jemand kennt.

Eine Legende wurde Robert Crumb allerdings mit einer ganz anderen Kunst, dem Comic. Sein ZAP Comix findet 1968 lebhaftes Echo in der Bay Area und überall Nachahmer; die Underground-Comics, gezeichneter Ausdruck gegenkulturellen Lebensgefühls, sind geboren. In Crumbs Geschichten aber geht es nicht nur um Sex & Drugs & Rock ’n‘ Roll, sondern er erzählt auch von sich selbst, von ödipalen Komplexen und Obsessionen.

In der Story The Confessions of R. Crumb etwa präsentiert er sich am Zeichenbrett, blickt dem Leser in die Augen – »Oh boy, I’m feelin‘ devilish today!« – und zieht aus dem Regal mit seinen Schellackplatten Joe Foss and his Hungry Sand Lappers: »Ahhh yes! This is a great record!«, seufzt er. Doch dann verschwimmt die Wirklichkeit und Crumb entführt den Leser in sein Unbewusstes, ein bizarrer Trip, der in seiner Radikalität einem Bekenntnis gleichkommt. Für den Comic ist das der Schritt vom stereotypen Unterhaltungs-Fast-Food für Kids zur grafischen Literatur, der »Zeichner« wird zum Künstler.

Crumb ist mit Ausstellungen und Preisen geehrt worden, die Literatur über ihn ist mittlerweile stattlich. Ihm selbst ist dieser Rummel zuwider, jeder Rummel: Als Fritz the Cat, als erster Zeichentrickfilm mit Altersbeschränkung, 1972 auch auf die Leinwand kommt, zeichnet er eine letzte Story, in der Fritz (inzwischen Filmproduzent) von einer Straußenhenne mit einem Eispickel erschlagen wird. Zwei Jahre später lässt Crumb auch seinen Mr. Natural verschwinden, in einer Nervenklinik. Als 1994 Terry Zwigoffs Film Crumb in die Kinos kommt, zieht er ins ferne Europa, in Frankreichs Südwesten. Dort lebt er seitdem, fern von allem Lärm unserer Zeit, in einem Landhaus mit seiner Frau Aline Kominsky, ebenfalls Zeichnerin, und fünftausend Schellackplatten mit vergessenem Jazz und Blues aus einer anderen Welt.

Wie er die 1960 als Teenager für zehn Cent das Stück zusammenzusammeln begann, indem er in den »farbigen Vierteln« von Tür zu Tür zieht, erzählt Crumb in dem Band Mister Nostalgia (Reprodukt, 29 Euro), der zudem eindringliche biografische Comics etwa über Kansas City Frank Melrose oder Charley Patton enthält. Die Story So ist das Leben handelt von dem fiktiven schwarzen Bluesmusikers Tommy Grady, der 1931 in einem Mississippi-Kaff unter die Räder gerät – bis einem Sammler eines Tages seine Platte in die Hände fällt: »Niemand hat je von ihm gehört … und dies ist die einzige Platte von ihm, die jemals aufgefunden wurde!« Der Glückliche ist, natürlich, kein anderer als Robert Crumb.

Vier Originale Crumbs, darunter zwei der allerersten Fritz the Cat-Seiten, sind derzeit in der Bonner Bundeskunsthalle in der Ausstellung Comics! Mangas! Graphic Novels! zu bewundern.

(Zettbe: das Magazin zum Jazzfest Bonn, 2017)

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