VONNEGUT, KURT

amerikan. Schriftsteller
* 11.11.1922 Indianapolis
Werkartikel: Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug, 1969

In Kurt Vonneguts Gott segne Sie, Mr. Rosewater (1965) besucht Eliot Rosewater in einer Szene einen Science-Fiction-Kongress und bescheinigt den dort versammelten Autoren, sie seien die Einzigen, die sich um die Zukunft ernsthaft Gedanken machten, die wirklich verstünden, was Kriege und Maschinen den Menschen antun. Diese Bemerkung steht quasi programmatisch für das Werk des deutschstämmigen amerikan. Schriftstellers, der immer wieder Motive der Science-Fiction benutzt hat, um philosophischen oder zivilisationskritischen Fragestellungen nachzugehen. Rosewaters fiktiver Lieblingsautor Kilgore Trout (dessen Namen sich Philip José Farmer einmal als Pseudonym für seinen SF-Roman Die Geburt der Venus borgte) wurde in späteren Werken zu Vonneguts Stimme.

Vonnegut hatte als Polizeireporter und PR-Mann gearbeitet, bevor er 1950 begann, anfangs zumeist konventionelle Kurzgeschichten für verschiedene Magazine zu schreiben. 1952 erschien mit Das höllische System sein erster Roman, mit Katzenwiege (1963) gelang ihm ein erster Bestseller in den USA und mit Schlachthof 5 (1969) schließlich auch der literarische Durchbruch.

Biografie: K. Vonnegut: Palm Sunday, 1981 (dt. 1981 [Ausz.]: Das Aschenputtel-Syndrom)

Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug
Slaughterhouse-Five, or The Children’s Crusade, 1969; dt. 1970

Schlachthof 5, mit dem Vonnegut nach 24 Jahren das Trauma der Luftangriffe auf Dresden aufgearbeitet hat, gilt heute als einer der bedeutendsten zeitgenössischen amerikan. Romane und als wichtigster Anti-Kriegsroman neben Joseph Hellers Catch 22. Beschrieben wird jedoch nicht die Zerstörung der Stadt, sondern die des Menschen, der „das größte Massaker in der Geschichte Europas“ miterlebt hat. Untertitel sowie der Name der Hauptfigur Billy Pilgrim (Pilger) verweisen auf die Kreuzzüge und sind Ausdruck von Vonneguts tiefem Pessimismus: Der Mensch ist letztlich unfähig, sein Tun zu begreifen und aus der Geschichte zu lernen.

Entstehung: Im Dez. 1944 war Vonnegut als amerikan. Soldat in den Ardennen in Gefangenschaft geraten und nach Dresden deportiert worden, wo er zusammen mit 150 anderen GIs im Fleischkeller des Schlachthofs eingesperrt wurde und den amerikan.-brit. Bombenangriff überlebte, bei dem in der Nacht des 13. Feb. 1945 60.000 Menschen starben: „Als wir wieder raufkamen, war die Stadt verschwunden. Die Steine waren heiß. Alle anderen im weiten Umkreis waren tot.“ Schon unmittelbar nach seiner Rückkehr in die USA wollte er über das erlebte Grauen schreiben, „aber mir fielen damals nicht viele Worte zu Dresden ein – jedenfalls nicht genug für ein Buch“. Erst nachdem er 1967 als Guggenheim-Stipendiat an den Ort der Vernichtung zurückgekehrt war, konnte Schlachthof 5 entstehen.

Aufbau: Der Roman ist collagenartig zusammengesetzt, entfaltet sich scheinbar assoziativ und behandelt sein Thema auf unterschiedlichen Erzähl- und Zeitebenen und aus verschiedenen Perspektiven, bleibt dabei aber von bemerkenswert leichter Lesbarkeit. Im ersten und letzten Kapitel tritt der Autor selbst durch sein Double Yon Yonson auf, den Schöpfer der Romanfigur Billy Pilgrim, der als Soldat den Feuersturm von Dresden erlebt hat und später lt. eigener Behauptung in einer fliegenden Untertasse auf den Planeten Tralfamadore entführt wird, der wie eine ideale Gegenwelt zu Billys 20. Jh. erscheint, das von Chaos, Gewalt und Isolation gezeichnet ist.

Inhalt: Der Optiker Billy, der „irdischen Seelen Korrekturlinsen verschreibt“, hat sich im Dez. 1944 (Vonneguts Gefangennahme) „von der Zeit losgelöst“, driftet seitdem ohne eigene Kontrolle durch die Episoden seiner Biografie, v.a. der Kriegszeit, und berichtet 1967 (Beginn der Arbeit an Schlachthof 5) öffentlich im Radio von seiner Entführung nach Trafalmadore, wo er nackt im Zoo ausgestellt worden sein will. Natürlich glaubt ihm niemand. Je näher der (nicht geschilderte) Feuersturm rückt, desto wirrer prasseln die Bruchstücke seines Lebens auf ihn ein, flüchtet sich Billy immer tiefer in die Hirngespinste seines durch das unverarbeitete Grauen bedingten Wahnsinns; als er das Unfassbare endlich aussprechen kann, hat man ihn längst für verrückt erklärt.

Wirkung: Aufgrund der Synechie aus ernster und trivialer Literatur sowie der Rückgriffe auf Showeffekte der Popkultur, die Vonneguts Werk prägen, aber auch durch seinen zuweilen sarkastischen Humor blieb dem Autor die Aufmerksamkeit der Kritik zunächst versagt. Dies änderte sich schlagartig nach dem Erscheinen von Schlachthof 5, mit dem er zum Idol der amerikan. Gegenkultur wurde. Eine Verfilmung erfolgte 1971 durch George Roy Hill.

Zuvor waren Vonneguts Romane der Science-Fiction zugerechnet worden. Er selbst war Mitbegründer der Organisation der amerikan. SF-Schriftsteller (SFWA), löste sich später aber aus diesem Umfeld mit der Begründung, seine Bücher seien „weitaus fremdartiger“ als SF. Vonnegut zählt heute zu den seltenen Autoren in den USA, die gleichermaßen bei einem breiten Publikum Anklang finden wie auch von der Kritik gewürdigt werden. ACK

Kasten Die wichtigsten Werke von Kurt Vonnegut

Das höllische System, 1952
In dem noch recht konventionellen Debütroman wird Amerika nach dem Dritten Weltkrieg von einer Managerklasse mithilfe eines riesigen Elektronengehirns regiert.

Die Sirenen des Titan, 1959
Die Menschheitsgeschichte entpuppt sich als Programm mit dem alleinigen Zweck, einem gestrandeten Außerirdischen ein winziges Ersatzteil für sein Ufo zu liefern.

Katzenwiege, 1963
Der Schriftsteller John stellt sich mit dem Anfangssatz aus Moby Dick („Call me Jonah“) vor, schreibt über die Atombombe und entdeckt etwas noch Schrecklicheres.

Gott segne Sie, Mr. Rosewater, 1965
In dieser Hommage an die Science-Fiction tritt erstmals der fiktive SF-Autor Kilgore Trout auf, der auch in späteren Werken Vonneguts Alter Ego ist.

Schlachthof 5, 1969
Billy Pilgrim erleidet ein Kriegstrauma und flüchtet sich aus der Realität auf einen Planeten, auf dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eins sind.

Frühstück für starke Männer, 1973
Die Geschichte um den psychisch labilen Autohändler und SF-Fan Dwayne Hoover, der die Menschen für roboterhafte Attrappen hält, wurde mit Bruce Willis verfilmt.

Galgenvogel, 1979
Am Fallbeispiel der Watergate-Ära lotet Vonnegut das Spannungsfeld zwischen Ethik und Kapitalismus aus.

Zielwasser, 1982
Der exzentrische Otto Waltz wird 1910 in Wien von der Kunstakedemie abgewiesen und freundet sich mit einem anderen Möchtegern-Maler an: Adolf Hitler.

Galapagos, 1985
Nach einem Bio-Terrorakt während der Buchmesse rettet sich eine Gruppe von Menschen auf eine einsame Insel. Die Evolution beginnt noch einmal von neuem.

Zeitbeben, 1997
In Vonneguts vorgeblich letztem, etwas schwermütigen Roman erleidet das Universum eine „kosmische Muskelschwäche“ und springt um zehn Jahre zurück.

(Das Buch der 1000 Bücher, Harenberg 2002)

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