JUNGE, KOMM BALD WIEDER

Von Andreas C. Knigge

HAMBURG, 23. Juli. Ihre liebste Theaterrolle sei die der Maude in der Bühnenfassung von Hal Ashbys Kultfilm Harold und Maude aus dem Jahre 1971 gewesen, hat Inge Meysel einmal in einem Interview mit Alice Schwarzer erklärt: „Denn die ist wie ich, wir sind beide Rebellen.“ Maude, die unangepasste 79jährige, lebt abseits der lärmenden Stadt in einem ausrangierten Eisenbahnwaggon, der bis unter die Decke vollgestopft ist mit dem Strandgut eines langen stürmischen Lebens. Und sie geht gerne zu Beerdigungen, auch wenn sie die Verstorbenen gar nicht kannte: „Beerdigungen sind wunderbar. Alles ist Veränderung, eins gehört zum anderen. Der große Kreis des Lebens.“

Für Inge Meysel hat sich dieser Kreis nun geschlossen. Gestern Mittag wurde die Urne mit der Asche der beliebten Volksschauspielerin, die am 10. Juli im Alter von 94 Jahren an Herzversagen gestorben war, auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg beigesetzt. Ihre Verbrennung hatte sie ebenso verfügt, wie sie auch die Details der Trauerfeier festgelegt hatte. Ein weltlicher Redner, weltliche Musik und eine schlichte, nur mit einem Ahornblatt verzierte Kupferurne. „So, wie sie gelebt hat, wollte sie auch beerdigt werden“, sagte ihr Manager und Vertrauter Peter Knuth. Sogar die Blumen hatte sie selbst ausgesucht, Bouquets aus leuchtend gelben Gerbera und orangefarbenen Rosen. Bestimmt hat sie dabei auch an Maude gedacht, die im Film zu dem jungen Harold sagt: „Diese Manie für Schwarz werde ich nie verstehen. Niemand schickt schwarze Blumen zu einer Beerdigung. Schwarze Blumen sind tote Blumen.“

Eine Feier im engsten Kreise, „ohne großes Brimborium“, so Knuth, sollte es werden. Doch schließlich war die Trauergemeinde von ursprünglich 150 erwarteten Gästen auf knapp 400 angewachsen, darunter der ehemalige Tagesschau-Sprecher Wilhelm Wieben und die Produzenten-Familie Trebitsch. Und es waren viele andere Hamburger nach Ohlsdorf auf den weltgrößten Parkfriedhof gekommen, um Abschied zu nehmen von der „Mutter der Nation“.

Diesem Ehrentitel, den die Meysel ihrer ersten Erfolgsrolle als Berliner Hausmeisterin Anni Wiesner in Curth Flatows Das Fenster zum Flur (1959) verdankte, konnte sie selbst allerdings „nicht die Bohne abgewinnen“. „Mutter Courage“ war ihr schon lieber, denn bis zuletzt hat sie sich als streitbare und sozialkritische Frau, die kein Blatt vor den Mund nahm, engagiert und eingemischt. Für Inge Meysel ein Lebensgrundsatz: Das Bundesverdienstkreuz hat sie 1981 mit der Begründung abgelehnt, man müsse keinen Orden bekommen, nur weil man sein Leben anständig gelebt habe.

Die Friedhofsverwaltung hatte sich auf 2.500 Menschen eingestellt und übertrug die Feier über Lautsprecher nach draußen. Unter den Trauerrednern waren der Regisseur Dieter Wedel und Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Birgit Schnieber-Jastram. Als dann Freddy Quinns „Junge, komm bald wieder“ auf einer Klarinette erklang, griffen viele zu ihren Taschentüchern, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Es war Inge Meysels Lieblingslied – vielleicht ja auch, weil ihre Eltern, als deren erstes Kind sie am 30. Mai 1910 geboren wurde, sich einen Sohn gewünscht hatten: „Also war ich mein Leben lang ein Sohn.“

Nach der Beisetzung konnten auch die vielen Fans der Schauspielerin an ihrem Grab defilieren. Ihre letzte Ruhe hat Inge Meysel neben ihrem zweiten Ehemann John Olden gefunden. Den Regisseur hatte sie 1947 kennen gelernt und bald darauf ihren ersten Mann verlassen: „Ich muss damals so geil gewesen sein, dass ich gar keine Rücksicht genommen habe.“ Olden, mit dem die Meysel von den Boulevardrollen ins Charakterfach wechselte, starb neun Jahre nach der Hochzeit 1965. Seitdem lebte Inge Meysel allein in ihrem Haus am Bullenhausener Elbdeich südlich von Hamburg. Mit allein über hundert TV-Rollen hat sie das Medium Fernsehen geprägt wie keine zweite. Zuletzt war sie Ende Mai in der Polizeiruf 110-Folge „Mein letzter Wille“ als resolute Oma Kampnagel zu sehen, die über sich selbst unkte, ihr Verfallsdatum sei wohl langsam abgelaufen.

In einer Szene des Bühnenstückes, das ihr liebstes war, schenkt Harold Maude einen Ring. Maude ist entzückt über die Liebeserklärung – und dann wirft sie das Geschmeide einfach ins Meer: „Häng dein Herz nicht an Dinge, lebe! Spiel mit, so gut du kannst. Sonst hast du nach dem Spiel in der Umkleidekabine doch nichts zu erzählen.“ Inge Meysel wird im Himmel eine Menge zu erzählen haben.

(Berliner Zeitung, 23. Juli 2004)

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