Wir freuen uns auf …

Probiert haben es schon einige und nun sieht es ganz so aus, als wenn es in München endlich klappen könnte: Die Etablierung einer zweiten deutschen Comic-Messe. Das Festival an der Isar ist aber kein Erlangen-Klon, sondern hat seinen eigenen Charme. Von Andreas C. Knigge

Die Sensation platzte schon im Jahr zuvor in die Welt. Jedoch wurde sie von keiner Zeitung verkündet, sondern von Bierdeckeln. „Wir freuen uns auf R. Crumb“, war in den ersten Junitagen 2012 während des Erlanger Comic-Salons von einem der Pappuntersetzer mit der Ankündigung des Comicfestivals München im nächsten Sommer zu erfahren. „Wir freuen uns auf Gilbert Shelton“ verhieß ein zweiter unter einer Zeichnung der Freak Brothers: „29.5.-2.6.2013 – www.comicfestival.de.“ Da war so mancher baff oder spottete in den langen lauen Biergartennächten gar lauthals: Ob sich die Münchener da nicht etwas verhoben hatten, gleich beide Legenden des amerikanischen Underground gemeinsam als Gäste zu annoncieren?

Mit ihrem Coup ist es Michael Kompa und Heiner Lünstedt im letzten Jahr gelungen, das von ihnen bereits zum vierten Mal organisierte Festival aus dem Schatten Erlangens zu hieven – obwohl auch diesmal noch vieles improvisiert war und etliches danebenging. Dreizehntausend Besucher wurden 2013 in München gezählt, gut die Hälfte wie in Erlangen im Jahr davor. Erlangen ist Deutschlands traditionsreichste und fraglos bedeutendste Comic-Messe, die man auf europäischer Ebene in einem Atemzug nennen kann mit Angoulême oder Lucca. Der Schönheitsfehler allerdings: Erlangen findet nur alle zwei Jahre statt. Etwas ins Leben zu rufen, das die lange Wartezeit bis zum nächsten Mal verkürzen würde, lag also auf der Hand.

Schon im Jahr nach dem ersten Erlanger Salon, 1985, initiierte, ebenfalls in München, Wolfgang J. Fuchs die „Comic-Tage“, die aber nicht recht an Fahrt gewinnen wollten, obwohl turnusmäßig weitere Veranstaltungen folgten. Von 1993 bis 1997 gab es einen Hamburger Comic-Salon, mit dem sich die Hansestadt nicht nur als selbsternannte „deutsche Comic-Hauptstadt“ feierte, sondern alternierend mit Erlangen eine Veranstaltung auch im Norden bot. Unlängst erst zeigte dann auch Hildesheim Ambitionen, strich jedoch die Segel, als einem städtischen Bediensteten auffiel, dass an dem vorgesehenen Wochenende schon ein Marathonlauf die Straßen der Kleinstadt verstopfen würde. Umstände sind zuweilen von beeindruckender Banalität.

Was andernorts nicht glücken mochte, scheint nun, nach beinahe dreißig Jahren, in München tatsächlich Wirklichkeit zu werden: Die Etablierung einer dauerhaften zweiten Comic-Messe mit überregionaler Ausstrahlung, die die notorische Lücke doch noch schließt – auch wenn der Norden dabei dicke Backen macht (ein seit 2006 wieder stattfindendes „Comicfestival Hamburg“ schrumpft von Jahr zu Jahr und ist nahezu wirkungsfrei). Einer Comic-Messe, die binnen Kurzem ihren ganz eigenen Charme entwickelt hat und ihr Programm schon im Namen trägt: Verortet „Salon“ das Selbstverständnis im Kulturbetrieb, akzentuiert „Festival“ den Spaß, das Vergnügen – was sich beim Comic, dem das Anarchische schon in der Wiege lag, freilich kaum ausschließen muss.

Wie sich Salon und Festival dennoch unterscheiden, zeigt schon die Preisverleihung, in Erlangen abendfüllender und feierlicher Höhepunkt, für den man sich am Freitag in Schale wirft, im barocken Markgrafentheater. In München geht die Vergabe des PENG!-Preises dagegen ohne schmückendes Beiwerk locker-rasant über die Bühne; improvisiert wie eine Gaudi, bei der es schon Ritus ist, dass eine der Laudationes Kleinverleger Hartmut Becker verliest, der dazu in ausgebeulten Cargohosen, die ihm ebenso eigentümlich sind wie Tim die Knickerbocker, seinen Rucksack lässig über der Schulter, zum Podium schlurft. Überhaupt, „PENG!“ – nicht unbedingt der feine Ton, um damit beim Feuilleton als salonfähig durchzugehen. Und eine honorige Jury wie in Erlangen (zu der der Autor dieses Jahr zählt) gibt es auch nicht, abgestimmt wird, nicht ohne Wirren, im Netz, basisdemokratisch sozusagen (siehe Kasten).

Der PENG!-Preis für ein Lebenswerk ging 2013 – wenige Wochen vor ihrem achtzigsten Geburtstag – an Lona Rietschel, die ebenfalls schon im Jahr zuvor mit „Wir freuen uns auf …“-Bierdeckeln angekündigt worden war und die nun eine eindrucksvolle Ausstellung im Künstlerhaus ehrt. Die weitgehend anonym gebliebene Zeichnerin, die 1975 mit den drei Abrafaxen die berühmtesten Comic-Helden in der DDR entwarf, ist sichtlich gerührt und kann kaum fassen, wie ihr geschieht. „Nach all den Jahren“, sagt sie immer wieder und schlägt die Hände vor den Mund. „Und dann im Westen, das hätte ich mir doch niemals vorzustellen vermocht!“ Das sind Momente, die tief bewegen.

Ähnliche Gefühlswallungen müssen auch Helmut Nickel überkommen haben, als der 2011 den PENG!-Preis bekam. Einer der maßgeblichen westdeutschen Zeichner in den Fünfzigern, war er anschließend in die USA ausgewandert und erfuhr überhaupt erst im hohen Alter von seinen ihm bis heute treuen Fans. Die späte Auszeichnung für sein Lebenswerk hatte zu einer Neuauflage seiner gelobten Winnetou-Hefte geführt, die im Jahr darauf zum Comic-Salon in Erlangen erschien. PENG! – ein Preis mit Folgen. Trotz seiner fast neunzig Jahre ist Nickel nun abermals über den Atlantik geflogen, um auch diesmal wieder in München dabei zu sein. „Zeitlebens dachte ich, meine Comics seien eben ‚Schund‘ gewesen“, lacht er leise und sieht dabei aus, als würde er jederzeit damit rechnen, aufzuwachen. Es ist wie im Comic: Am Ende siegen doch noch Gerechtigkeit und das Gute.

Aber was wurde aus Crumb und Shelton? Robert Crumb bot, zusammen mit seiner Frau und Kollegin Aline Kominsky-Crumb, bereits am ersten Festivaltag einen denkwürdig charmanten und aufschlussreichen Auftritt im Jüdischen Museum (www.comicfestival-muenchen.de/?page_id=1208). Damit, muss man leider sagen, war das Pulver aber auch schon verschossen. Ein Podium zusammen mit Gilbert Shelton und Gerhard Seyfried im überfüllten Amerikahaus ging am nächsten Abend, assistiert von der Jazzband Sons of the Desert, nur gelegentlich über surreales Gegnicker und fetzenhaft assoziierte Erinnerungen an damals hinaus. Absurdes Theater fast; hätte man den Kontrast zum Vorabend geahnt, man hätte vorher rauchen sollen. Zumal es im Anschluss nicht mal Autogramme gab. Und tags darauf stöberte Crumb lieber in Secondhandläden nach alten Jazzplatten, anstatt sich zwischen den Verlagsständen und Comic-Stapeln im Künstlerhaus dem Publikum auszuliefern. Holy shit!

Das Künstlerhaus am Lenbachplatz, geschichtsträchtig und zentral gelegen, ist das Herzstück des Festivals, das inzwischen allerdings ähnlich aus den Nähten platzt wie in Erlangen einst der Redoutensaal. Anders als zwei Jahre zuvor hatte man deshalb etliche (vor allem kleinere) Verlage ins Alte Rathaus am Marienplatz ausgelagert, was einigen Missmut auslöste. Der Fußweg dorthin beträgt zwar nur gut zehn Minuten, doch das Pech wollte es, dass München an diesem Wochenende von geradezu sintflutartigen Regengüssen heimgesucht wurde. Für zusätzliche Verstimmung sorgten städtische Bürokraten, die von Brandschutzverordnungen bis hin zur zeitweisen Sperrung des Marienplatzes wegen einer Fußballfête sämtliche Register zogen, um ihrer Berufung alle Ehre zu machen. Das sind Kinderkrankheiten, an denen es noch hart zu arbeiten gilt und an denen die Veranstalter sich für die Zukunft werden beweisen müssen: Festivals sind keine starren Gebilde, sondern eine Plattform, auf der die Dinge sich verändern und entwickeln.

Aber auch, wenn Crumb und Shelton sich insgesamt bedauerlich rarmachten: An prominenten Zeichnern herrschte dieser Tage in München kaum ein Mangel, es signierten Publikumslieblinge wie Baru (dem auch eine Werkschau gewidmet war) und Milo Manara, José-Luis Munuera und Greg Hildebrandt, Manuele Fior, Ralf König sowie viele andere. Und wer zwischen dem Anstehen um eine Zeichnung noch Zeit fand, auf den warteten neben Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Zeichenkursen oder gar einem vom Kultusministerium geförderten „Workshop für Lehrkräfte zum Einsatz von Graphic Novels im Unterricht“ auch noch zwei Dutzend Ausstellungen.

Deren Spektrum reichte von einer, passend zu den Stargästen, umfänglichen Underground-Retrospektive sowie den Hommagen von achtzig zumeist deutschen, aber auch französischen, spanischen oder amerikanischen Kollegen an Robert Crumb (das Buch dazu ist in der Edition 52 erschienen) über das Pflichtprogramm – wo Erlangen zuletzt fünfzig Jahre Spider-Man feierte, blickte München auf fünfundsiebzig Jahre Superman zurück (wobei sogar eine frühe Zeichnung von Superman-Miterfinder Joe Shuster im Original zu sehen war) – bis hin zu Einzelschauen in kleineren, über die Stadt verstreuten Locations, zu Ralf König etwa oder, längst fällig, Dieter Kalenbach (Katalog bei Edition Comics etc.). Zum Gastland war Italien gekürt, wobei der Streifzug durch die Welt der fumetti kuratorisch allerdings recht dürftig inszeniert war, von Ausstellungsarchitektur keine Spur, und zudem molto piccolo ausfiel.

Wie im großen München eben alles ein wenig kleiner und unprätentiöser ist, handgestrickt, mochte man manchmal auch sagen – was natürlich an den Mitteln und organisatorischen Hintergründen liegt. Steht Erlangen immerhin ein Etat von nahezu einer halben Million Euro zur Verfügung und hat der Salon das Kulturprojektbüro der Stadt im Rücken, muss München mit nicht einmal sechsstelliger Bezuschussung durch das städtische Kulturreferat auskommen, Organisation und Planung obliegen allein ehrenamtlichen Helfern. Mit derart schmalen Möglichkeiten trotzdem eine Comic-Messe dieses Formats auf die Beine zu stellen, funktioniert allein über den Treibstoff Begeisterung und verdient somit ein kräftiges chapeau! – oder, um im Milieu zu bleiben: Klatsch, klatsch.

Dieses Jahr findet Erlangen statt, zum sechzehnten Mal bereits, wow! Und anschließend müssen wir keine zwei Jahre warten, 2015 sieht man sich in München wieder – dann, wie die Veranstalter verlauten lassen, in neuen Räumlichkeiten, wo wieder alles unter einem Dach vereint sein soll.

Wir freuen uns drauf …!

(Comic Report 2014)

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