SUPERMAN

Jerry Siegel – Joe Shuster

Mitte der 1950er Jahre wurde Jerry Siegel eines Abends von einer Streife im Central Park aufgegriffen. Er wirkte halb verhungert, und der Polizist brachte ihn zu einer Armenküche. Als er dem kleinen Jungen neben sich am Tisch erzählte, er sei der Erfinder von Superman, lachte der über den Scherz. Siegel nahm eine Serviette und zeichnete darauf einen Mann mit stählernem Blick und einem S auf der Brust.

Bei Joe Shuster lief es nicht viel besser. Manchmal kam er noch in den Verlag, für den Superman ein Millionengeschäft geworden war, um Postpakete zuzustellen. Hin und wieder steckte ihm dann ein früherer Kollege auf dem Flur fünf Dollar zu. Superman war zu einem der größten Erfolge der amerikanischen Verlagsgeschichte geworden und für seine beiden Schöpfer zu einem Alptraum.

Dabei hatte alles mit einem ganz anderen Traum begonnen. „Ich lag im Bett, als es mich plötzlich wie ein Schlag traf“, erinnerte sich Siegel später an die Nacht im Jahr 1934, in der Superman geboren wurde. „Ich sah eine Figur vor mir wie Samson, Herkules oder einen der anderen starken Kerle, von denen ich gehört hatte, nur noch stärker. Ich sprang aus dem Bett und schrieb das auf, dann ging ich wieder ins Bett, dachte zwei Stunden lang nach, stand wieder auf und schrieb. Das ging die ganze Nacht so weiter, bis ich am Morgen die ganze Story hatte.“ Dann rannte er rüber zu seinem Freund Joe Shuster, der eben ein Kunststudium angefangen hatte, und sah ihm zu, wie der im ersten Bild eine weit entfernte Welt zerbersten ließ. Es gibt nur einen Überlebenden, und der wird auf der Erde ausgesetzt.

Gediehen war die Idee seit einer Weile: 1933 hatte Siegel (unter dem Pseudonym Herbert S. Fine) bereits eine Kurzgeschichte über einen größenwahnsinnigen Gangster geschrieben und mit Shusters Illustrationen unter dem Titel The Reign of the Superman in dem Fanzine Science Fiction veröffentlicht, das er zusammen mit seinem Freund herausgab. Beide waren begeisterte Leser von Pulpheften wie Amazing Stories und Wonder Stories, mit denen Hugo Gernsback Ende der 1920er Jahre in den USA einen SF-Boom ausgelöst hatte. Inspiriert durch Philip Wylies Roman Gladiator (1930), in dem ein junger Mann durch eine chemische Substanz zu ungeheuren Körperkräften gelangt, entwickelten sie noch im gleichen Jahr ein Comic-Heft, nannten es The Superman und den Helden darin, stark aber ohne Kostüm, „the most astounding fiction character of all time“. Allerdings fanden sie keinen Abnehmer. Nun hatte sich Siegel in jener Nacht einen Außerirdischen in einem Ganzkörperkondom ausgedacht, der über erstaunliche Kräfte verfügt, schneller laufen kann als ein Eilzug, und an dessen Haut selbst eine Granate keinen Kratzer hinterlässt. Shuster setzte das erste Abenteuer in Zeitungsstrips um, doch die Syndikate fanden die Idee völlig absurd und winkten ab.

Anfang 1935 entdeckten Siegel und Shuster an den Zeitungsständen die erste Ausgabe des Comic-Hefts New Fun und bewarben sich. Noch im gleichen Jahr steuerten sie kurze Abenteuerstorys bei, und als der Verlag das neue Heft Action Comics zusammenstellte, gelang es ihnen endlich, auch ihren Superman unterzubringen. Ständig unter Termindruck, baute Shuster aus seinen vier Jahre zuvor gezeichneten Strips 13 Heftseiten zusammen. Action Comics 1 erschien im Juni 1938 und zeigte auf dem Titelbild einen blau kostümierten Muskelmann mit einem roten Cape, der ein Gangsterauto samt Insassen gegen einen Felsen schleudert. Der Verlag sorgte sich, dass die Leser den neuen Helden als zu „unwirklich“ empfinden könnten, und verbannte ihn für die nächsten Ausgaben ins Heftinnere. Doch an den Zeitungsständen fragten die Kids nicht nach Action Comics, sondern nach dem „Heft mit Superman“, und schon von der vierten Ausgabe wurden fast eine halbe Million Exemplare verkauft, doppelt so viel, wie von anderen Heften. Bald sollte Action Comics nie wieder ohne Superman auf dem Cover erscheinen. Im Sommer 1939 bekam er zusätzlich ein nur seinen Abenteuern gewidmetes Heft, von dem im Jahr darauf jeden Monat 1,25 Millionen Exemplare gedruckt werden mussten. Ein Superman-Strip lief in über 300 Tageszeitungen, 1940 folgte eine Hörspielreihe im Radio, 1941 eine Zeichentrickserie, und 1942 erschien sogar ein Roman. Die Idee, mit der Siegel und Shuster vergeblich hausieren gegangen waren, erwies sich als Gold wert.

Superman, der einzige Überlebende des Planeten Krypton, wird vor dessen Kollaps als Baby in einer Raumkapsel zur Erde geschickt. Er wächst als Findelkind bei dem Ehepaar Kent in Smallville, Kansas, auf und entdeckt bald seine außergewöhnlichen Fähigkeiten. In einer zweiseitigen origin story, die 1939 im ersten Superman-Heft seine Herkunft erläuterte, definieren seine Adoptiveltern gleichermaßen das Themenrepertoire wie die Moral der Serie: „Du musst deine Kräfte vor den anderen Menschen verbergen, da sie sich sonst vor dir fürchten“, mahnt der Vater, und die Mutter ergänzt: „Wenn aber die Zeit dafür kommt, musst du sie einsetzen, der Menschheit zu dienen.“ Nach dem Tod der Kents wird Metropolis, ein idealisiertes New York City, zu Supermans Wirkungsstätte. Als der schüchterne, kurzsichtige Clark Kent ist er in seiner bürgerlichen Existenz Reporter beim Daily Planet, doch sowie Katastrophen drohen, reißt er sich, bevorzugt in Telefonzellen, Hut, Brille und Mantel vom Leib, um als Superman in Aktion zu treten. Zwar ist er unverwundbar, riskiert aber ständig, dass seine secret identity aufgedeckt wird; vor allem die Reporterin Lois Lane, die ihren drögen Kollegen Clark Kent keines Blickes würdigt, ist dem mysteriösen Muskelprotz stets auf den Fersen, um dessen Identität zu lüften.

Die ersten Superman-Abenteuer waren krude gezeichnet, steckten aber voller Energie, und vor allem boten sie eine Projektionsfläche für pubertäre Omnipotenzfantasien ihrer jugendlichen Leser. Mit dem verklemmten Clark Kent, von dem niemand ahnt, dass in ihm ein Supermann steckt, hat sich der kurzsichtige, Mädchen gegenüber gehemmte und von der Armee ausgemusterte Shuster selbst porträtiert. Da der Bedarf an Storys kontinuierlich wuchs, engagierte er drei junge Zeichner (darunter bereits Wayne Boring, der Superman bis in die 1960er Jahre treu blieb), mit denen er in einem Zimmer in Cleveland wie am Fließband Seiten produzierte.

In seinen ersten Abenteuern brachte Superman konventionelle Schurken zur Strecke, doch schon bald bot sich mit dem Krieg in Europa und Asien ein neues Betätigungsfeld: Superman demolierte Nazi-U-Boote, packte Hitler und Hirohito am Kragen und wurde zur nationalen Institution. Er warb für Kriegsanleihen und Spenden an das Rote Kreuz und stärkte die Moral der GIs, die mit Superman-Heften im Tornister den Atlantikwall stürmten. Parallel dazu kam es zu Modifizierungen des ursprünglichen Konzepts. In den Zeichentrickfilmen hatte Superman das Fliegen gelernt, da man in den Max Fleischer Studios meinte, seine bisherigen Weitsprünge sähen in der Animation albern aus. Siegel und Shuster übernahmen die Idee ebenso in den Comic wie das grüne Kryptonit, das in den Radio-Serials erfunden wurde: Mit den radioaktiven Gesteinstrümmern von seinem Heimatplaneten, deren Strahlen seine Kräfte schwächen, hatte nun auch der „Man of Steel“ seine Achillesferse.

Der Verlag beauftragte jedoch auch andere Zeichner, denn gegen ein Honorar von 130 Dollar für ihre erste Story in Action Comics hatten Siegel und Shuster 1938 alle Rechte an ihrer Figur abgetreten. Als ihre Einnahmen schrumpften und ihnen ihre Abhängigkeit bewusst wurde, prozessierten sie 1947 um die Rückgewinnung des Copyrights. Außerdem wollten sie National Periodicals auf Zahlung von Lizenzgebühren für die Serie Superboy verklagen, die der Verlag zwei Jahre zuvor ohne die Beteiligung von Siegel und Shuster lanciert hatte, obwohl die Idee dazu von den beiden stammte. Das Gericht urteilte, National Periodicals habe die Rechte an Superman rechtmäßig erworben, gestand dessen Erfindern aber eine Abfindung im Streit um Superboy zu. Der Verlag zahlte ihnen 100.000 Dollar und kündigte verärgert die Zusammenarbeit.

Siegel und Shuster versuchten sich an einem Heft namens Funnyman, das nach sechs Ausgaben wieder verschwand, dann zog sich Shuster verbittert vom Comic zurück. Siegel schrieb weitere Serien, aber es gelang ihm nichts mehr, das auch nur eine Fußnote wert wäre. Die Enteignung von seinem Traum akzeptierte er nicht, und er wurde nicht müde, das Unrecht, das ihm seiner Auffassung nach widerfahren war, immer wieder in Erinnerung zu bringen. Einmal verschickte er Briefe an alle Comic-Verlage, in denen er ankündigte, sich an einem bestimmten Tag um 17 Uhr in einem Superman-Kostüm vom Grand Central Palace Building zu stürzen. Die gesamte New Yorker Comic-Branche strömte an jenem Nachmittag zusammen, doch nichts geschah. Dann gerieten Jerry Siegel und Joe Shuster in Vergessenheit.

Superman hingegen eroberte auch das Fernsehen, wo ihn ab 1952 George Reeves in 104 halbstündigen Episoden verkörperte. 1959 tauchte die Cousine Supergirl auf, 1966 folgte ein Broadway-Musical, 1978 ein Hollywood-Blockbuster, doch dann begann Supermans Strahlkraft zu schwinden. 1986 beauftragte der Verlag den Zeichner John Byrne, das Grundkonzept der Serie zu renovieren, und im November 1992 ließ man Superman im Kampf gegen den Superschurken Doomsday, der sich über 160 Seiten erstreckte, sogar erliegen und sterben: Das Unvorstellbare ging als Top-Nachricht durch alle Medien, The Death of Superman verkaufte sich über fünf Millionen mal. Als kurz zuvor Joe Shuster gestorben war, hatte das kaum jemand wahrgenommen. Superman kehrte nach dem Zwischenspiel World without a Superman nach einem Jahr in The Return of Superman zurück und kickte die vier Kontrahenten, die um seine Nachfolge gerangelt hatten, von der Bildfläche. Als „Event of the Century“ folgte 1996 die Heirat mit Lois Lane, und im März des nächsten Jahres bekam er sogar ein neues Kostüm verpasst – das allerdings musste sich auch Jerry Siegel nicht mehr mit ansehen. Supermans Erfinder war wenige Monate zuvor gestorben. Inzwischen ist die Auflage des Comic-Hefts auf monatlich 45.000 Exemplare gesunken. Fast scheint es, als wolle Superman, der größte Held des 20. Jahrhunderts, seinen Vätern bald in die ewigen Jagdgründe folgen.

Jerome Siegel wurde am 17. Oktober 1914 in Cleveland, Ohio, geboren, Joe Shuster war sieben Tage zuvor in Toronto zur Welt gekommen, 1923 zog dessen Familie ebenfalls nach Cleveland. Noch bevor sich die beiden Science-Fiction- und Comic-Fans zusammentaten, hatte Siegel einen Einakter mit dem Titel The Fighting Journalist geschrieben und Shuster hatte für die Schülerzeitung den Comic Jerry the Journalist gezeichnet. Die beiden lernten sich 1931 an der Glenville High School kennen, entwickelten gemeinsame Abenteuerstrips wie Interplanetary Police und Superman, für die sich aber niemand interessierte. Ende 1935 kamen sie bei dem Comic-Heft New Fun unter, für das sie Serien wie Henri Duval und Doctor Occult beisteuerten, und bald waren sie auch in Detective Comics vertreten, das der gleiche Verlag ab März 1937 herausbrachte. Siegel und Shuster waren nun gut im Geschäft und lieferten 1937 fast 250 Seiten. Im Juni 1938 debütierten sie in Action Comics mit Superman. Nachdem der Verlag 1948 die Zusammenarbeit aufgekündigt hatte, brachten Siegel und Shuster keinen erfolgreichen Comic mehr zu Papier und lebten an der Armutsgrenze. Erst 1978, als dem ersten Kinofilm durch den Fall schlechte Presse drohte, bewilligte der Verlag ihnen eine jährliche Rente in Höhe von 24.000 Dollar und nennt sie seitdem auch wieder als Schöpfer von Superman. Joe Shuster starb am 30. Juli 1992, Jerry Siegel am 28. Januar 1996.

(Andreas C. Knigge: 50 Klassiker Comics. Von Lyonel Feininger bis Art Spiegelman, Gerstenberg Verlag, Hildesheim, 2004) 

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