DER AUSNAHMEKÜNSTLER

Von Andreas C. Knigge

Wer es denn bemerken wollte und genau hinsah, der konnte die ersten Hinweise auf die bevorstehende Veränderung schon Ende 1970 erkennen. Hal Foster zeichnete seine Comic-Serie Prince Valiant um den gleichnamigen ritterlichen Helden aus der Zeit König Arthurs schon seit nahezu vierunddreißig Jahren, doch auf den drei Seiten, die zum ersten Mal am 11. Oktober sowie am 1. und 15. November des Jahres in den amerikanischen Sonntagszeitungen erschienen, fehlt seine übliche Signatur. Erstere hatte nämlich, nach Fosters Szenario, Gray Morrow in Szene gesetzt, die zweite stammt aus der Feder von John Cullen Murphy und die dritte von Wally Wood. Die drei Zeichner waren zu Beginn der Siebzigerjahre renommierte Comic-Künstler und in der engeren Auswahl, um demnächst Fosters Nachfolge anzutreten. Denn der war wenige Wochen zuvor 78 geworden, und jede Woche pünktlich eine neue, aufwendig gestaltete Seite abzuliefern, fiel ihm inzwischen zunehmend schwerer.

Die Wahl fiel schließlich auf Murphy, der Prince Valiant Ende Mai des nächsten Jahres übernahm und weitere dreiunddreißig Jahre lang fortsetzen sollte – zuerst noch nach den Texten und Vorzeichnungen Fosters und ab 1980 dann mit seinem Sohn Cullen als Autor. „Als er anfing, konnte ich seine Arbeit von meiner kaum unterscheiden“, begründete Foster seine Entscheidung für Murphy. „Er ist ein sehr guter Illustrator, und er kann Hände zum Sprechen bringen … Jeder Gesichtsausdruck muss von den Händen unterstützt werden.“

Schon zuvor hatte Murphy seinen Vorgänger entlastet und ab Ende November 1970 die Seiten mit denen Fosters alternierend gezeichnet. Mit dem Blatt 1777 vom 28. Februar 1971 schien der Wechsel dann vollzogen – doch nach elf Wochen meldete sich Foster noch einmal mit einer letzten Folge zu Wort: Der Held reitet gemeinsam mit seinem Sohn Arn und dem nordafrikanischen Gefährten Ben Zirara nach Süden. Er leidet unter der Trennung von seiner großen Liebe Aleta – wegen einer dummen Eifersüchtelei kurz zuvor und verletztem Stolz –, der Königin der Nebelinseln, der er fast auf den Tag genau dreißig Jahre zuvor das erste Mal begegnet war, und muss sich mit umherstreifenden „Gotenhorden“ herumschlagen. Dann tauchen im letzten Bild vor dem Trio die Pyrenäen auf. Die Reiter wenden dem Leser den Rücken zu und blicken beeindruckt auf das gewaltige Gebirge am Horizont, das sich „wie ein hochaufragender Wall vor dem südlichen Himmel“ auftürmt. „Nun müssen sie nach Osten reiten, denn dies ist die schmalste Stelle Galliens zwischen dem Golf von Biskaya und dem Mittelmeer“, lautet der letzte Satz, „und Gefahren lauern auf jeder Meile ihres Weges“. Und damit übergibt Foster endgültig an John Cullen Murphy.

Als Hal Fosters letztes Blatt am 16. Mai 1971 erschien, war sein ritterlicher Held auch in der Alten Welt längst kein Unbekannter mehr. Im deutschsprachigen Raum war schon 1939 gut ein Dutzend Seiten unter dem Titel Prinz Waldemar in der Kinderzeitung Der Papagei erschienen, zu Prinz Eisenherz wurde Valiant dann 1950 in der Badischen Illustrierten (die die vorabgedruckten Episoden im folgenden Jahr erstmals auch in Albumform herausgab) und erschien unter diesem Namen ab 1952 neben anderen US-amerikanischen Zeitungsserien auch in dem Comic-Heft Phantom.

Klassikerstatus erlangte Prinz Eisenherz in Deutschland allerdings erst, als sich in den USA Hal Foster vom Zeichenbrett zurückzog und die weiteren Geschicke seines Helden in Murphys Hände legte: 1970 begann der Pollischansky Verlag in Wien eine umfangreiche und über viele Jahre erfolgreiche Albumreihe, im Jahr darauf startete Melzer mit einer schwarz-weißen Buchausgabe, und gleichzeitig war der Beginn der Sage aus den Tagen König Arthurs regelmäßig auch in dem Comic-Magazin Primo nachzulesen. Die international erste, tatsächlich lückenlose Gesamtausgabe, die nicht nur die Foster-Folgen beinhaltete, sondern auch die seiner Nachfolger, begann der Carlsen Verlag 1988. Und fast zwanzig Jahre später schließlich folgte die vorliegende Bocola-Edition erstmals in den Originalfarben.

Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein weiterer Zeichnerwechsel zu verzeichnen – im Mai 2004 hatte John Cullen Murphy die Serie im Alter von 85 Jahren an den Autor Mark Schultz und den Zeichner Gary Gianni abgetreten; ein Vierteljahr später starb er. Seinen großen Traum, Prince Valiant länger zeichnen zu können, als es Foster vergönnt gewesen war, verfehlte Murphy nur knapp. (Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Gianni Prince Valiant am 1. April 2012, als die Bocola-Ausgabe der Foster-Seiten mit Band 17 gerade ihren Abschluss fand, seinerseits an Thomas Yeates abgegeben hat: Yeates ist der inzwischen vierte Zeichner des von Hal Foster vor 75 Jahren geschaffenen Comic-Meisterwerks.)

Neben der Micky Maus war Prinz Eisenherz der einzige Comic, der im Deutschland der Fünfzigerjahre nicht den Schmutz- und Schundkampagnen gegen das „Opium in der Kinderstube“ (so der Spiegel 1951) zum Opfer fiel. Zum einen natürlich, weil sich mit Prinz Eisenherz etwas lernen ließ – Foster recherchierte sein Sujet akribisch, auch wenn er kein lupenreines Abbild des frühen Mittelalters lieferte und sich in puncto Historizität durchaus dramaturgische Freiheiten gestattete –, vor allem aber deshalb, weil Foster bei der Gestaltung seiner Serie konsequent auf Sprechblasen verzichtete und damit an die Tradition der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem durch Wilhelm Busch populär gewordenen Bildergeschichten anknüpfte. Damit zählte Eisenherz nicht zum „Blasenfutter für Analphabeten“. Was natürlich die Frage aufwirft, ob es sich bei Prinz Eisenherz überhaupt um einen Comic handelt.

Streng genommen muss man Fosters Schöpfung tatsächlich eher der Bildergeschichte zurechnen als den Comics, wie sie mit den Strips von Richard F. Outcault, Rudolph Dirks oder Frederick Burr Opper Ende des 19. Jahrhunderts in den farbigen Sonntagsbeilagen der amerikanischen Tageszeitungen aufgekommen waren, und deren Prinzip in erster Linie darauf beruht, Text und Bild weit enger zu verzahnen, als dies bei klassischen Bildergeschichten der Fall ist. Für diese Einordnung entscheidender als das Fehlen von Sprechblasen ist allerdings die Gestaltung der Abfolge der einzelnen Bildszenen, die bei Foster eher einen illustrativen als filmisch-sequenziellen Charakter haben.

Foster hatte seine künstlerische Karriere als Illustrator begonnen, seine Vorbilder waren die großen amerikanischen Illustratoren wie Howard Pyle oder Newell Convers Wyeth, aber auch europäische Künstler wie Aubrey Beardsley und Gustave Doré. Als er 1928 den Auftrag erhielt, Edgar Rice Burroughs‘ ersten Tarzan-Roman grafisch umzusetzen, entschied er sich somit dafür, dies nicht in Form der modernen Comics mit Sprechblasen und möglichst rasanten Bildabfolgen zu tun, sondern wählte die Texterzählung mit jeweils fünf gleich großen Bildern pro Folge: Seine erste Tarzan-Adaption (die heute als einer der ersten Abenteuerstrips überhaupt gilt) lässt sich problemlos verstehen, wenn man allein den Text liest, die Bilder ohne den Text hingegen ergeben keine nachvollziehbare Geschichte.

Die Funktion der Bilder bleibt bei Foster somit illustrativ, in seinen Zeichnungen inszenierte er jeweils den „fruchtbaren Augenblick“, wie Lessing den Moment nannte, den ein einzelnes Bild zu speichern vermag, und diese Verfahrensweise behielt er während seiner gesamten Karriere unverändert bei. Foster widersetzte sich damit einer Entwicklung des „Bildzeitalters“, die schon Winsor McCay auf den Punkt gebracht hatte, als er 1912 voraussagte, dass „in Zukunft der Künstler erfolgreich sein wird, dessen Bilder sich bewegen … Es wird eine Zeit kommen, da werden sich die Leute ein Bild ansehen und fragen, warum es reglos ist und steif bleibt. Sie werden Bewegung wollen.“

McCay bezog seine Feststellung auf den frühen Zeichentrickfilm, dem er sich gerade zugewandt hatte und zu dessen Gunsten er seine Serie Little Nemo wenig später aufgab, doch beruht ebenso der enorme Erfolg des damals noch jungen Comics, der die klassische Bildergeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts bald verdrängte, auf nichts anderem als der durch visuelle Tricks erzeugten Illusion filmischer Bewegung. Dabei sind Sprechblasen (die bereits lange bewährtes Element der Karikatur waren, in Bildergeschichten jedoch äußerst selten auftauchten) hilfreich aber nicht zwingend notwendig. Anfangs bedienten sich längst nicht alle Zeichner der „balloons“. Carl Edward Schultze etwa, der 1900 die Serie Foxy Grandpa begonnen hatte, bevorzugte die klassische Form und separierte Bild und Text weiterhin. War Foxy Grandpa zu Beginn des neuen Jahrhunderts eine der beliebtesten Serien und ihr Schöpfer ein angesehenes Mitglied der New Yorker High Society, der ein luxuriöses Apartment in der Park Avenue und mehrere Reitpferde besaß, verlor der Strip auf Grund seiner zunehmend als antiquiert empfundenen Erzählweise bald an Popularität und verschwand 1910. (Schultze starb 1939 völlig verarmt in einem kleinen Zimmer, in dem er in einem wenig einladenden Viertel der Stadt für vier Dollar Miete die Woche untergekommen war.)

Fosters Einzelbilder dienen weniger dem Zweck, „filmisch“ zwischen zwei Szenen zu vermitteln, sie stehen vor allem für sich. Und in gewisser Weise macht dieser Spagat zwischen starrer Illustration und sequenzieller Bilderzählung die künstlerische Virtuosität seines Werks aus: Seine imposanten Landschaftspanoramen, atemberaubenden Burgen und akribisch detaillierten Inszenierungen von Schlachten mit Dutzenden kämpfender Recken sind keine flüchtigen Szenen, sondern stets die Suche nach dem „fruchtbarem Augenblick“ – man fragt beim Betrachten weniger als bei anderen Comics nach dem Davor und Danach, sondern versenkt sich vielmehr kontemplativ in den dargestellten Moment.

Dass dieses Verfahren gerade bei Prince Valiant so gut funktioniert und – im Gegensatz zu anderen Beispielen wie Tarzan oder Flash Gordon, bei denen sich in den Dreißigerjahren ebenfalls Erzähltext unter den Bildern befand – bis heute beibehalten wurde, liegt vor allem in Fosters Thematik begründet, deren Rohstoff die Arthur-Sage ist. Ganz in der Tradition früherer Versionen dieses europäischen Urmythos, der auf Geoffrey von Monmouth‘ Historia regum Britanniae aus dem Jahre 1150 zurückgeht und zu dessen berühmten Interpreten Chrétien de Troyes, Wolfram von Eschenbach, Sir Thomas Malroy und später zudem ein ganzes Heer von Fantasy-Autoren von T.H. White bis Marion Zimmer Bradley zählen, hat Foster zu der Legende einen weiteren kühnen Recken hinzugedichtet, schickte ihn hinaus in die Welt und pries in dessen Herausforderungen und Bewährungen die edlen Tugenden des Rittertums wie Anstand und Mut. Auch damit hat Foster 1937, als er Prince Valiant begann, einen ungewöhnlichen Weg beschritten: Lediglich in einem einzigen anderen Zeitungs-Comic, in der zwei Jahre zuvor von William McCleery und Ralph Fuller begonnenen Serie Oaky Doaks, war die Ritterzeit bisher Thema eines Zeitungs-Comics geworden.

Hal Foster ist nicht allein als Zeichner, sondern auch als Autor ein höchst bemerkenswerter Ausnahmekünstler, der seinen Weg völlig unbeeinflusst von den Konventionen der Gattung ging und seinen Helden im Laufe der Jahre reifer und älter werden ließ. Damit liest sich Prince Valiant auch als Entwicklungsroman: Der Prinz begegnet dem legendären Ritter Lancelot, kommt als Knappe Gawains an Arthurs Hof und erhält, als er sich auch in der Schlacht behauptet, endlich den ersehnten Ritterschlag. Nachdem Eisenherz mit Aleta seine große Liebe gefunden hat, werden Kinder geboren, wachsen heran und dominieren später sogar streckenweise die weitere Handlung.

Dass ihm ein Leben voller Gefahren bevorstünde, hatte dem Prinzen die Hexe Horrit bereits in jungen Jahren prophezeit. An der Seite seines Vaters, des Königs Aguar von Thule, war Eisenherz auf der Flucht vor Thronräubern in den Sümpfen Britanniens gestrandet. Hier, inmitten einer von Nebeln verhangenen Inselwelt, wuchs er auf, erlernte die Jagd, übte sich in der Kunst des Kampfes und musste erste Abenteuer mit den Bewohnern seiner geheimnisvollen Umgebung bestehen. „Du wirst dem Einhorn, dem Drachen und dem Greif gegenüber stehen, schwarze und gelbe Menschen sehen“, hatte Horrits Weissagung gelautet. Und tatsächlich wird das Schicksal den Prinzen um den halben Erdball führen, quer durch ganz Europa und bis in die Neue Welt, durch die Urwälder des schwarzen Kontinents und bis tief ins Morgenland, wo er eines Tages vor der chinesischen Mauer stehen wird. Er begegnet tapferen Rittern und holden Prinzessinnen, besiegt Riesen und finstere Tyrannen und führt sein „Singendes Schwert“, von dem gleichen Magier geschmiedet wie König Arthurs Excalibur, gegen Sachsen und Hunnen. Zunächst allerdings lockt den jungen Heißsporn ein anderes Ziel: Camelot, wo er schließlich zum Ritter der Tafelrunde wird.

Mit Prinz Eisenherz hat Hal Foster einen monumentalen Abenteuerbilderbogen hinterlassen. Ein zeitloses Bravourstück, erzählerisch ebenso wie zeichnerisch, das vor allem deshalb bleiben wird, weil er sich keiner Mode und keinem Zeitgeist unterwarf, sondern sich allein auf seine künstlerische Intuition verließ und sein Leben lang das tat, was er tun wollte. „Zuerst war ich den Comics gegenüber ziemlich ignorant“, gab er einmal zu. „Doch nachdem Valiant zu einer Persönlichkeit geworden war und Konturen bekam, wollte ich nichts anderes mehr machen, als seine Abenteuer zu zeichnen.“

Und was spielt es da angesichts eines derart überwältigenden und einzigartigen Lebenswerks noch für eine Rolle, ob Prince Valiant nun eher eine Bildergeschichte ist oder eben doch ein Comic …?

(Hal Foster: Prinz Eisenherz-Gesamtausgabe, Bd. 18, Bocola Verlag 2012)

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