Lawrence, T. E.

engl. Archäologe, Geheimagent u. Schriftsteller

* 16.8.1888 Tremadoc (Wales)   † 19.5.1935 Moreton (Dorset)

Werkartikel: Die sieben Säulen der Weisheit, 1926

Verklärt durch manische Eigenstilisierung, ist die widersprüchliche, selbstzerstörerische Persönlichkeit des als „Lawrence von Arabien“ zur Legende gewordenen Thomas Edward Lawrence bis heute rätselhaft geblieben. Nach einem Studium der Orientalistik, Archäologie, Geschichte und Kriegsführung in Oxford unternahm er 1909 eine abenteuerliche Expedition durch den Nahen Osten und führte Ausgrabungen am Euphrat durch (1910-14), wobei er den engl. Geheimdienst mit Informationen über die Region belieferte.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Lawrence Leutnant und im Dezember 1914 nach Kairo beordert, von wo aus er den arab. Aufstand gegen die Türken organisierte, den er später in Die sieben Säulen der Weisheit (> S. XXX) beschrieb. Nachdem die Politik seinen Traum einer geeinten arab. Nation zunichte gemacht hatte, wurde er Churchills Berater für arab. Fragen. 1923 trat er unter dem Namen T. E. Shaw als einfacher Luftwaffensoldat in die Royal Air Force ein; über diese Zeit erschien posthum 1955 Unter dem Prägestock. Kurz nach seinem militärischen Abschied starb er in einem Motorradunfall, dessen Umstände nie zweifelsfrei geklärt wurden.

Biografie: D. Stewart: T. E. Lawrence, 1977 (dt. 1979: Lawrence von Arabien); J. Wilson: Lawrence of Arabia, 2000 (dt. 2001: Lawrence von Arabien)

Die sieben Säulen der Weisheit

Der Titel stammt aus dem Alten Testament und bezieht sich auf einen Spruch Salomos (IX, 1): „Die Weisheit bauete ihr Haus und hieb sieben Säulen.“ Lawrence hatte ihn ursprünglich für ein Buch über sieben orientalische Städte vorgesehen; das Manuskript will er 1914 vernichtet haben, weil er es für unausgereift hielt.

Entstehung: Schon 1917 dachte Lawrence daran, den arab. Aufstand und seine Rolle darin literarisch aufzuarbeiten. „Wenn ich je mein Buch darüber herausbringen kann“, heißt es in einem Brief, „werde ich versuchen, es so darzustellen, dass auch Andere sehen, wie es war“. Ein Jahr später schrieb er: „Ich fürchte, es wird nicht zur Veröffentlichung kommen, da Einiges darin noch Lebende (einschließlich mich selbst!) kränken würde.“ Was er meinte verbergen zu müssen, weil es nicht mit den sittlichen Werten seiner Zeit oder seinem Selbstbild in Einklang zu bringen war, reichte von seiner geheim gehaltenen unehelichen Herkunft und stark masochistisch ausgeprägten Homosexualität über im messianischen Wahn verübte Bluttaten bis hin zu der Verbitterung darüber, die Araber in einen neuen Kolonialismus geführt zu haben. Als er Kairo Ende 1918 verließ, ließ er sogar seine persönlichen Aufzeichnungen zurück, die er trotz des Verbots, Kriegstagebücher zu führen, angefertigt hatte.

Die von Lawrence als Folge dieser Scham gezielt betriebenen Irreführungen vernebeln auch die Entstehungsgeschichte von Die sieben Säulen der Weisheit. Im Februar 1919 begann er mit dem Schreiben, barg auch seine Tagebücher, doch um Weihnachten wurde ihm das beinahe fertig gestellte Manuskript angeblich beim Umsteigen auf dem Bahnhof in Reading gestohlen. Er will anschließend eine zweite Version aus dem Gedächtnis neu geschrieben haben, die er verbrannte, nachdem sie als Grundlage für eine dritte Fassung gedient hatte. Letztere wurde 1922 gesetzt, in acht Fahnenabzügen vervielfältigt, aber erst 1926 nach weiteren Überarbeitungen in 107 Exemplaren veröffentlicht. Parallel dazu erschien eine um zwei Drittel gekürzte Publikumsausgabe unter dem Titel Aufstand in der Wüste.

Inhalt: Auf die Einleitung über „den Araber“ im Stil zeitgenössischer Reiseberichte, in denen fremde Völker vor allem durch ihre Abweichungen vom Standpunkt des Beobachters beschrieben werden, folgt stilistisch brillant die Schilderung des von England geschürten arab. Aufstands gegen die Herrschaft der Türken während der Jahre 1917-18. Für das Empire, das noch immer ein Fünftel der Welt beherrschte und dessen Lebensader der Suezkanal war, war der Nahe Osten von immenser strategischer Bedeutung. Obwohl die Aufteilung der Region zwischen Frankreich und England bereits 1916 im Sykes-Picot-Abkommen festgelegt worden war, sicherte Lawrence den arab. Völkern für den Fall des Sieges Unabhängigkeit zu. Er tauschte seine Uniform gegen Beduinenkleider und zelebrierte das strapaziöse und entbehrungsreiche Wüstenleben. Nach ersten Erfolgen seiner damals neuartigen Guerillataktik, die darauf abzielte, „nur Flanken und keine Front“ zu schaffen, konnten die zuvor verfeindeten und nun unter der Aussicht auf Freiheit von Feisal geeinten Stämme im Handstreich Akaba nehmen und schließlich Damaskus erobern. Lawrence frönt in seinem Kriegsbericht der heroischen Selbstinszenierung und weicht in persönlichen Passagen von den tatsächlichen Ereignissen ab.

Wirkung: Eine vollständige Publikumsausgabe erschien erst nach Lawrences Tod 1935 und wurde sofort ein sensationeller Erfolg. 1962 unternahm David Lean eine bildgewaltige Verfilmung mit Peter O’Toole sowie Alec Guinness, Anthony Quinn und Omar Sharif in weiteren Hauptrollen. Eine Comicadaption schuf Ferdinando Tacconi 1977 unter dem Titel Der Mann der Wüste.     ACK

(Marginalspalte:)

Aus der Einleitung zu Die sieben Säulen der Weisheit von T. E. Lawrence:

Mit der Zeit wurde unser Drang, für das Ideal zu kämpfen, zu einer blinden Besessenheit, die mit verhängtem Zügel über unsere Zweifel hinwegstürmte. Er wurde zu einem Glauben, ob wir wollten oder nicht. Wir hatten uns in seine Sklaverei verkauft, hatten uns zu einem Kettentrupp aneinander geschmiedet, hatten uns mit all unserem Guten und Bösen seinem heiligen Dienst geweiht. Der Geisteszustand gewöhnlicher Sklaven ist schrecklich genug – sie haben die Welt verloren – wir aber hatten nicht den Leib allein, auch die Seele der alles beherrschenden Gier nach Sieg überantwortet. Durch eigenen Willensakt hatten wir Moral, Selbstbestimmung, Verantwortung von uns getan, dass wir waren wie dürre Blätter im Wind.

(Das Buch der 1000 Bücher, Harenberg 2002)

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