SATANISCHE ZEICHNUNGEN

oder: Kampf der Karikaturen
Chronik und Hintergründe einer Eskalation

Massenproteste, Wirtschaftsboykott, brennende Botschaften und fast 250 Tote – noch nie haben Zeichnungen ähnliche Tumulte ausgelöst wie die zwölf Mohammed-Karikaturen, die die dänische Tageszeitung Jyllands-Posten im vergangenen Jahr abdruckte. Von Andreas C. Knigge

Am Beginn von Ralf Königs Comic-Roman Dschinn Dschinn, dessen erster Teil am 30. September letzten Jahres in den Handel kam, just am gleichen Tag, an dem die Mohammed-Karikaturen in Jyllands-Posten erschienen, steht ein historisch verbürgter doch längst vergessener Dialog der Kulturen: Im Jahre 797 nach christlicher und 175 nach islamischer Zeitrechnung entsandte Karl der Große eine von einem jüdischen Kaufmann namens Isaak angeführte Delegation nach Bagdad, das unter der Herrschaft des abbasidischen Kalifen Harun ar-Raschid eine Zeit kultureller Blüte und Offenheit erlebte. Harun, dessen Beliebtheit durch die Erzählungen von Tausendundeine Nacht bis auf unsere Tage überliefert ist, revanchierte sich fürstlich und schickte seinerseits eine mit den im Abendland noch unbekannten Wundern des Orients beladene Karawane auf den über zwei Jahre dauernden Weg nach Aachen, das damals noch – wie es im Comic heißt – „bei jedem Regen im Matsch versank“.

Als in Bagdad die Karawane mit „prachtvollen Teppichen aus Arabien, exotischen Gewürzen aus Indien, Porzellan und Zierwerk aus China und allerlei Düften, Salben und Seifen, Flöten und Lauten, farbenprächtigen Stoffen, kunstvollem Schmuck“ beladen wird, erzählen sich die versammelten Juden, Christen und Muslime gegenseitig Witze, etwa den, in dem Moses vom Berg Sinai zurückkehrt, um Gottes Gebote zu verkünden: „Also, Leute, eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst die gute: Ich hab ihn runter auf zehn. Die schlechte: Ehebruch ist noch immer dabei!“ Allgemeines Gegacker – man lacht miteinander, nicht übereinander. „Es ist eine seltene Gelegenheit“, bekundet eine der Figuren. „Wann begegnen sich schon mal drei Religionen?“ Schließlich setzt ein Muslim an: „Ein Muslim, ein Christ und ein Jude gehen am Himalaja spazieren. Da kommt ihnen ein Buddhist entgegen. Sagt der Muslim …“ Doch dann wird er unterbrochen, und sein Witz bleibt ohne Pointe.

Ralf König hat diese Szene mehr als ein Jahr vor dem Karikaturenstreit gezeichnet, doch nach den Gewalteruptionen der letzten Wochen wirkt sie nun wie ein Gleichnis für die scheinbare Unmöglichkeit einer friedlichen Koexistenz der Kulturen. Seitdem die Divergenzen zwischen dem radikalen Islam und dem Westen zu einer Art Weltbürgerkrieg eskalierten, ist jede Satire, die den Glauben oder religiöse Gefühle zum Thema hat, zu purem Sprengstoff geworden. Der österreichische Karikaturist Manfred Deix etwa, der sich „die Finger blutig zeichnete“ gegen Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit und immer wieder auch die christliche Kirche aufs Korn nahm, sagte in einem Interview in der Zeit: „Wir erleben hier eine neue totalitäre Bedrohung. Würde ich über Mohammed scherzen, wäre ich in Lebensgefahr.“ Harald Schmidt bekundete öffentlich, angesichts der Brisanz der Situation sei nun „eine nötige Portion Feigheit“ geboten.

Die Realität scheint völlig außer Kontrolle geraten in diesem Konflikt, der geradezu mittelalterlich anmutet und an den grotesken Disput in Umberto Ecos Roman Der Name der Rose erinnert, bei dem es ebenfalls um den Witz geht, um das (tatsächlich nicht existierende) zweite Buch der Poetik von Aristoteles, das die Komödie und damit das subversive Lachen gerechtfertigt hätte. Nur dass die Absurdität der Wirklichkeit die der Phantasie bei weitem übertrifft. „Hinterwäldlerischer hat eine Weltkrise wohl kaum einmal begonnen“, unkte der Spiegel. Und Samuel Huntington, der 1993 in seinem Aufsatz The Clash of Civilizations? das Szenario vom Kampf der Kulturen entwarf, der im 21. Jahrhundert an die Stelle der alten Staatenkonflikte treten werde, erscheint auf einmal wie der Prophet eines Dramas, das sich längst verselbstständigt hat.

Wie bei allen postmodernen Konflikten ist die Situation weit schwerer zu durchdringen als noch in den Zeiten des Kalten Krieges, als es hier den „freien Westen“ und dort den „kommunistischen Ostblock“ und dazwischen einen „eisernen Vorhang“ gab, der beide Seiten übersichtlich separierte. In Staaten wie Saudi-Arabien oder Syrien wurde der Aufruhr ohne jeden Zweifel mit Wissen und vor allem dem Willen der jeweiligen Regierung inszeniert, bei den Verbündeten des Westens hingegen richtet er sich gegen die eigene Obrigkeit, wie etwa in Pakistan. Wo also verläuft die Demarkation?

Es fällt bereits schwer, den Funken zu lokalisieren, der das Pulverfass explodieren ließ, denn zwischen den Massenunruhen in der arabischen Welt und der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in Jyllands-Posten liegen vier Monate. Allerdings kann man über jenen 30. September 2005 auch hinausschauen, etwa auf die Rechtsregierung Anders Fogh Rasmussens, unter der sich die in Dänemark lebenden Muslime zunehmend ausgegrenzt und stigmatisiert fühlen. „Wir sind in den Krieg gegen die gleichmacherische multikulturelle Ideologie gezogen“, erläuterte noch eine Woche vor dem Abdruck der Karikaturen Kulturminister Brian Mikkelsen das Ziel der rabiaten Ausländerpolitik seines Ministerpräsidenten. Man könnte auch auf den aus scheinheiligen Gründen und mit erlogenen Argumenten geführten Krieg gegen Irak verweisen, mit dem das Land aus der Diktatur in die Hölle gebombt wurde, auf die Terroranschläge vom 11. September oder den Nahostkonflikt und wäre sicher irgendwann bei den Kreuzzügen angelangt, die ebenfalls ihre Vorgeschichte haben. Was ist Ursache, was ist Wirkung? Was Hysterie und was wirkliche Bedrohung?

Beginnen wir in Dänemark, das quasi über Nacht völlig unerwartet zum Ziel weltweiter Proteste wurde. Dort hatte der in Frederiksberg, einem Vorort von Kopenhagen wohnende Lehrer und Autor Kåre Bluitgen im vergangenen Jahr Schwierigkeiten, einen Illustrator für ein Kinderbuch zu finden, das er, mit besten Absichten, wie es heißt, über Mohammed geschrieben hatte. Drei Zeichner hatten abgesagt, weil sie nicht gegen das islamische Verbot verstoßen mochten, den Propheten bildlich darzustellen. Und der Zeichner, der den Auftrag schließlich übernahm, wollte namentlich nicht genannt werden. Bluitgen erzählte davon auf einer Party, auf der auch ein Mitarbeiter der dänischen Nachrichtenagentur Ritzau zugegen war. Der verfasste am 16. September eine Agenturmeldung mit dem Titel „Dänische Künstler haben Angst vor Kritik am Islam“, die wiederum die Fogh Rasmussens Kulturkampf unterstützende Tageszeitung Jyllands-Posten auf den Plan rief.

Bluitgens Buch ist im vergangenen Januar im Kopenhagener Verlag Høst & Søn erschienen. Eine „Art Mohammed-Erzählung in Stile einer Kinderbibel“, wie die Süddeutsche Zeitung kommentierte, versehen mit zehn ganzseitigen farbigen und anonymen Zeichnungen. Eine davon zeigt Mohammed bei der Tötung der Juden von Medina. Mit voll ausgestalteten Gesichtszügen ist er inmitten von Leichen zu sehen, während die Juden von Schergen in ein Massengrab gestoßen werden. Das Massaker – um das Jahr 622 ließ Mohammed 800 Männer enthaupten und versklavte Frauen und Kinder, als sich die Juden seiner Einigung Medinas widersetzten und ihn mit Spottversen bedachten – ist überliefert. Es erfährt durch seine bildliche Hervorhebung jedoch eine emotionale Aufladung, die in Verbindung mit dem Verstoß gegen das islamische Bildverbot und vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation für Muslime eine Zumutung darstellt.

Das Buch schildert auf 270 Seiten allein das Leben des Propheten und stellt keinerlei Bezüge zum heutigen Islam her. Dass Autor und Verlag nicht auf eine Illustrierung, die ohnehin zwangsläufig ohne jeden dokumentarischen Wert ist und rein schmückenden Charakter hat, verzichten mochten, irritiert angesichts der Tatsache, dass der Bilderstreit bei Erscheinen bereits entbrannt war.

Gut möglich also, dass die Zeichner, die den Auftrag zuvor abgelehnt hatten, gar nicht ängstlich waren, sondern vielmehr verantwortungsbewusst. Flemming Rose, Feuilletonchef der für ihre provokanten und polarisierenden Kampagnen bekannten Jyllands-Posten, mit 170.000 verkauften Exemplaren die größte Tageszeitung in Dänemark, jedoch beobachtete eine um sich greifende Angst vor religiösen Fanatikern, der Mord an dem holländischen Filmemacher Theo van Gogh lag noch nicht lange zurück. In Kopenhagen hatte ein Komiker zugegeben, er wage es nicht mehr, „den Islam anzupissen“, ein Museum hatte aus Angst vor muslimischen Reaktionen ein Kunstwerk entfernt, und ein Dozent der Universität Kopenhagen war tätlich angegriffen worden, nachdem er in seiner Vorlesung aus dem Koran vorgelesen hatte. Rose witterte zunehmende Selbstzensur und wollte die Probe aufs Exempel machen. Über die Vereinigung der dänischen Zeitungskarikaturisten lud er 40 Künstler ein, Zeichnungen von Mohammed anzufertigen, „wie Sie ihn sehen“. Zwölf kamen dem Aufruf nach.

Unter der Überschrift „Mohammeds Antlitz“ wurden ihre Arbeiten am 30. September ganzseitig veröffentlicht. Im begleitenden Text erläuterte Rose den Tabubruch: „Einige Muslime lehnen die moderne säkulare Gesellschaft ab. Sie fordern eine Sonderstellung, indem sie auf besondere Rücksichtnahme auf ihre religiösen Gefühle beharren. Aber in einer Demokratie, in der Meinungsfreiheit herrscht, muss man Hohn und Spott aushalten können.“ Ein Spiel mit dem Feuer, das alleinig zum Ziel hatte, zu provozieren: Seht her, wir können uns über alles hinwegsetzen, das euch heilig ist! Eine Jesus-Karikatur des Zeichners Christoffer Zieler hatte Jyllands-Posten hingegen zwei Jahre zuvor mit der Begründung abgelehnt, sie könne die Leser beleidigen. „Was wir jetzt sehen“, formulierte es Günter Grass, „ist die fundamentalistische Antwort auf eine fundamentalistische Tat.“

Zunächst geschah jedoch nichts, lediglich ein durchgeknallter 17jähriger rief bei der Zeitung an und sprach Todesdrohungen gegen die Zeichner aus; er wurde zwei Tage später verhaftet. Aber es folgte kein Aufschrei der muslimischen Gemeinde, alles blieb ruhig. Erst als Jyllands-Posten die Karikaturen an islamische Organisationen zu verschicken begann, kamen die erhofften Reaktionen, und das Blatt konnte titeln: „Muslime fordern Entschuldigung!“ – im Staate Dänemark eine gute Schlagzeile.

Zuerst empörte sich Ahmed Akkari, der Imam von Århus, wo sich auch der Hauptsitz von Jyllands-Posten befindet, und rief zum Protest gegen die Karikaturen auf. Über 1.000 der rund 117.000 Muslime in Dänemark (Gesamtbevölkerung 5,4 Millionen) versammelten sich am 14. Oktober zur bislang größten – und friedlichen – Demonstration ihrer Gemeinde auf dem Rathausplatz von Kopenhagen. Sprecher von 27 islamischen Organisationen beschwerten sich bei Jyllands-Posten und wurden mit dem Verweis auf die Pressefreiheit abgewiesen. Rücksichtnahme gegenüber religiösen Gefühlen, belehrte Chefredakteur Carsten Juste die Beschwerdeführer, sei „unvereinbar mit westlicher Demokratie und Meinungsfreiheit“.

Mit der gleichen Begründung sowie der Empfehlung, sich doch an ein Gericht zu wenden, weigerte sich am 21. Oktober auch Ministerpräsident Fogh Rasmussen, Ägyptens Botschafterin Nevine Halim Abdalla zu empfangen, die im Namen ihrer Kollegen aus elf Ländern, von der Türkei bis Iran, von Indonesien bis Bosnien-Herzegowina, um ein Dringlichkeitstreffen gebeten hatte. Eine Woche später wurde eine Klage abgewiesen, die eine Vereinigung dänischer Muslim-Gruppen gegen Jyllands-Posten eingereicht hatte. „Wir sind als gesellschaftliche Gruppe einfach ignoriert worden“, so Akkari. Also machte er sich mit einer Delegation, angeführt von dem radikalen Imam Ahmed Abu Laban, auf den Weg nach Ägypten, Syrien und in den Libanon, um bei religiösen und politischen Führern Unterstützung zu suchen.

Um die „Zunahme des Rassismus in Dänemark“ zu belegen, reichten sie eine 43 Seiten starke Mappe herum, in der sich allerdings nicht nur die zwölf Karikaturen aus Jyllands-Posten befanden, sondern als Bonusmaterial noch weitere blasphemische Bilder, die die Imame angeblich anonym erhalten hatten, wie sie später angaben. Darunter neben der Fotomontage eines betenden Muslims, der von hinten von einem Hund penetriert wird, und einer Zeichnung, die Mohammed als pädophilen Teufel darstellt, auch die Schwarz-weiß-Kopie eines Fotos, das den Propheten Mohammed als Schwein zu verunglimpfen schien, eine besonders widerwärtige Beleidigung aller Muslime.

Die Herkunft dieses Bildes, auf dem ein bärtiger Mann mit Schweinsnase und Schweineohren aus Plastik zu sehen ist, wurde inzwischen geklärt. Es ist im Sommer 2005 von der Nachrichtenagentur Associated Press bei einer Landwirtschaftsmesse in Trie-sur-Baise in Südfrankreich aufgenommen worden und zeigt einen Hobbykomiker bei einem Schweine-Quiek-Wettbewerb. Es hat keinerlei Bezug zum Streit um die dänischen Zeichnungen. Aber Abu Laban und Akkari zogen noch weitere Register, indem sie behaupteten, 200.000 dänische Muslime zu vertreten, anstatt wie in Wahrheit wohl eher weniger als 10.000. Und sie schürten den Eindruck, Jyllands-Posten sei eine Regierungszeitung, was die Affäre zur Staatsangelegenheit mache.

Ägypten befand sich mitten im Wahlkampf, der Regierung kam das Thema gelegen, um sich mit einer religiösen Botschaft bei der Muslimbruderschaft zu profilieren. Außenminister Ahmed Abu al-Gheit nahm sich der Sache an und zeigte das von den Imamen aus Dänemark zusammengestellte Material am 7. Dezember auf dem Gipfeltreffen der Organization of the Islamic Conference in Mekka herum. Zudem wies er Ägyptens Botschafter an, um die Unterstützung anderer arabischer Regierungen zu werben. Die Bilder verfehlten ihre Wirkung nicht. Am 10. Januar, zum Abschluss der jährlichen Pilgerzüge, forderte der Iman Abdul Rahamn in seiner Predigt in Mekka vor zwei Millionen Gläubigen, sich der „Kampagne gegen den Propheten“ zu widersetzen. Zwei Wochen später verlangten erste religiöse Führer die Bestrafung von Jyllands-Posten, dann verurteilten die Regierungen von Saudi-Arabien und Kuweit und schließlich auch das Jordanische Parlament die Gotteslästerung. Im Internet erschienen Boykottaufrufe auf Arabisch und Englisch.

Es begann zu brodeln. 22 dänische Diplomaten, verzweifelt bemüht, die Wogen zu glätten, sowie mehrere Schriftsteller bedrängten Fogh Rasmussen, das Gespräch mit den islamischen Staaten zu suchen. Doch die Regierung des kleinen Königreichs zwischen Nord- und Ostsee sah keinen Gesprächsbedarf, der Staat nehme keinen Einfluss auf die Presse. Statt dessen hatte am 10. Januar auch noch die christliche Zeitung Magazinet die zwölf Karikaturen in Norwegen nachgedruckt und die Gemüter zusätzlich in Wallung gebracht.

Am 26. Januar berief Saudi-Arabien seinen Botschafter aus Dänemark ab, die Handelskammer von Katar lud dänische und norwegische Delegationen aus. Seitdem boykottieren die Golfstaaten skandinavische Produkte, in der Milchindustrie kam es prompt zu Entlassungen. Der Protest zog rasant immer weitere Kreise. Am 29. Januar schloss auch Libyen seine Botschaft in Kopenhagen. Zwei Tage später mussten die Jyllands-Posten-Redaktionen in Kopenhagen und Århus nach Bombendrohungen evakuiert werden. Auf seiner Website räumte die Zeitung nun ein, die Zeichnungen hätten unzweifelhaft viele Muslime beleidigt, würden allerdings nicht gegen dänische Gesetze verstoßen.

„Als sich die Außenminister der EU am 30. Januar in Brüssel treffen, ist die Unterstützung für Dänemark schwach“, schrieben die Jyllands-Posten-Redakteure John Hansen und Kim Hundevadt später in einer Rekonstruktion der Eskalation. „Mehrere Außenminister deuten an, Dänemark habe die Möglichkeiten, den Konflikt selbst zu lösen, ungenutzt verstreichen lassen.“

Zur gleichen Zeit wurden die Karikaturen jedoch von Zeitungen in ganz Europa nachgedruckt, unter anderem in Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien und Spanien. Dem Chef der konservativen Pariser Boulevardzeitung France Soir, Jacques Lefranc, der sich einen Succès de scandale versprochen und am 1. Februar eine der Zeichnungen großformatig auf die Titelseite gesetzt hatte, war dabei offenbar entfallen, dass der Besitzer des schwer angeschlagenen Blattes (der Verkauf dümpelt bei 45.000 Exemplaren) der ägyptischstämmige Raymond Lakah ist. Lefranc wurde umgehend gekündigt, trotzdem musste einige Tage später die Redaktion nach einer Bombendrohung zeitweise geräumt werden.

Die britische Presse hingegen hielt sich geschlossen zurück, nicht einmal die rechtspopulistischen Boulevardblätter druckten die Karikaturen ab. Einzig die BBC ließ eine Kamera flüchtig über die Zeichnungen streifen und wurde dafür mit einem Fatwa bedroht. Der Sender entschuldigte sich öffentlich.

„Die Beleidigung des Propheten Mohammed verpflichtet alle Muslime, Rache zu nehmen“, verkündete schließlich Scheich Dschamal im libanesischen Sidon. Am 3. Februar rief der 79jährige sunnitische Geistliche Jussuf al-Kardawi, einer der einflussreichsten religiösen Führer in den islamischen Ländern, in seiner Freitagspredigt in Katar den „Internationalen Tag des Zorns“ aus: „Wir sind keine Nation von Eseln. Wir sind eine Nation von Löwen.“ Zehntausende zwischen Casablanca und Karatschi trugen ihre Wut auf die Straßen, verbrannten dänische Fahnen und Fotos von Premierminister Fogh Rasmussen. In Riad verkündete der Imam Scheich Badr Bin Nader al-Mashari: „Brüder dies ist ein Krieg gegen den Islam. Greift zu euren Schwertern! Wo sind eure Waffen? Eure Feinde haben auf dem Propheten herumgetrampelt. Erhebt euch!“

Unmittelbar nach dieser Aufforderung wurde das dänische Konsulat in der indonesischen Hauptstadt Jakarta gestürmt. Wenig später setzten Demonstranten in Damaskus die dänische und norwegische Botschaft in Brand, skandinavische Staatsbürger werden von ihren Regierungen aufgefordert, Syrien zu verlassen. Auch in Beirut und Teheran wurden Brandanschläge auf die dänischen Botschafterbüros verübt. Drei Tage später hatten sich die Unruhen über Irak, Indien und Thailand bis nach Neuseeland ausgebreitet. Überall wurde zu Racheakten an den dänischen Zeichnern aufgerufen, in Pakistan war bereits im November ein Kopfgeld auf die Karikaturisten ausgesetzt worden, und die Qaida-nahen „Abu Hafis al-Masri“-Brigaden drohten als Vergeltung einen „blutigen Krieg“ an.

Am 9. Februar entschuldigte sich Jyllands-Posten für „offensichtliche Missverständnisse“. Doch da hatte sich der Zorn über die arrogante westliche Dominanz, der sich in der Vergangenheit vor allem gegen die USA richtete, bereits mit voller Wucht auf Europa ergossen, das trotz der Anschläge in Madrid und London bisher nicht tatsächlich im Zentrum der kulturellen Verbitterung gestanden hatte. In Gaza-Stadt kam es zur Besetzung des EU-Büros, und ungeachtet der Haltung der Regierung Gerhard Schröders während des Irakkonflikts werden auch deutsche Institutionen angegriffen. In Pakistan wurde eine Puppe Franz Münteferings aufgehängt und angezündet, im Iran Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Hitler gleich gesetzt.

Längst geht es nicht mehr um die Auseinandersetzung zwischen Islamisten auf der einen und dem Amerika George W. Bushs und Israel auf der anderen Seite, ins Visier ist nun der gesamte Westen, sind die Christen insgesamt gerückt. Als der Konflikt Mitte Februar auch auf Nigeria übersprang, flammte dort der Bürgerkrieg wieder auf. Christliche Geschäfte wurden überfallen und geplündert, 18 Kirchen in Brand gesteckt und mindestens 15 Christen mit Macheten und Eisenstangen erschlagen, darunter drei Kinder und ein katholischer Priester.

Also tatsächlich ein „Clash of Civilizations“, wie Huntington ihn, ein von dem Islam-Historiker Bernard Lewis geprägtes Schlagwort aufgreifend, prognostiziert hat? Die These ist riskant, denn sie teilt die Welt in Lager, zementiert Fronten und birgt die Gefahr, zur self-fulfilling prophecy zu werden. Dass sie zudem falsch ist, haben in den letzten Wochen fünfzig Millionen in Europa lebende Muslime bewiesen, die auf die Karikaturen äußerst zurückhaltend und besonnen reagiert haben. Und Ausschreitungen, wie es sie im vergangenen Jahr in Frankreich gab, sind ein soziales, kein kulturelles Phänomen. Die Demonstrationen gegen die Karikaturen, die in vielen europäischen Städten stattfanden, verliefen, trotz erhitzter Gemüter vor allem in London, wo 20.000 Muslime auf die Straße gingen, durchweg friedlich. In Dänemark gründete sich jetzt sogar ein „Komitee gemäßigter Muslime“, dessen Mitglieder nach eigener Angabe in ganzseitigen Zeitungsanzeigen in arabischen Ländern für ihre lädierte Heimat werben und „auf angemessene Weise“ über den Hintergrund der Karikaturenveröffentlichung aufklären wollen.

Auch in der arabischen Welt ist die Haltung keinesfalls eindeutig. Bereits zwei Wochen nach ihrer Veröffentlichung in Dänemark, im Fastenmonat Ramadan, hatte die ägyptische Wochenzeitung al-Fagr als erste Zeitschrift überhaupt die Karikaturen aus Jyllands-Posten nachgedruckt, eine sogar auf dem Titel. Niemand regte sich auf. In anderen Ländern hingegen kam es zu hysterischen Reaktionen, allerdings erst, nachdem der Konflikt zwischenzeitlich eskaliert war. In Algerien sorgte Anfang Februar schon eine zehnsekündige Filmsequenz, die die Ausgabe von France Soir mit einer der Mohammed-Karikaturen auf der Titelseite zeigte, für einen Sturm der Empörung und personelle Konsequenzen bei dem staatlichen Satellitensender Canal Algerie. In Indonesien wurden 3.000 bereits ausgelieferte Exemplare der Wochenzeitung Peta, die die Zeichnungen nachgedruckt hatte, zurückgerufen, in Jemen mussten al-Hurrija al-Ahlija und der englischsprachige Yemen Observer sogar ihr Erscheinen einstellen.

In Jordanien wurden die Chefredakteure der Wochenblätter al-Shilhan und al-Mehwar verhaftet. Ihnen drohen für den Abdruck der Propheten-Bilder nun bis zu drei Jahre Haft und der Ausschluss aus dem Journalistenverband, faktisch ein Berufsverbot. Al-Shilhan-Chefredakteur Mjihad Momani hatte die Zeichnungen mit einer Frage kommentiert: „Wer beleidigt den Islam mehr? Ein Ausländer, der den Propheten darzustellen sucht, oder ein Muslim mit einem Sprengstoffgürtel, der sich bei einer Hochzeitsfeier in Amman oder anderswo in die Luft sprengt?“ Auch in Ägypten nahm die regierungsnahe al-Akhbar, die auflagenstärkste arabische Tageszeitung, eine der umstrittenen Karikaturen wieder aus dem Blatt, nachdem die ersten Exemplare schon ausgeliefert waren. Al-Fagr hingegen stellte ihre erste Februarausgabe unter das Thema „Bilder des Propheten“. Nach Meinung des Herausgebers Adil Hammouda dient der „muslimische Krieg gegen Dänemark“ einzig dazu, von der „Korruptheit der islamischen Diktaturen“ abzulenken.

In der Tat mutet es seltsam an, wenn es in Ländern wie Saudi-Arabien, Syrien, Libanon oder Iran, die ihren Bürgern fast jegliche Bürgerrechte verweigern und in denen sich normalerweise nicht drei Leute unter freiem Himmel versammeln können, ohne Verdacht zu erregen, zu „spontanen“ Massenkrawallen kommt, während etwa in Marokko, Libyen oder den reichen Golfstaaten weit gehende Gelassenheit herrschte oder in Ägypten und Jordanien gemäßigte Religionsführer zu Gewaltlosigkeit aufriefen. Hier wird offensichtlich, dass die fundamentalistischen Regierungen die Wut gezielt entfachten, um antiwestliche Ressentiments zu schüren, als regimestabilisierendes Ventil, das von den innenpolitischen Problemen ablenken soll und auch von der Krise des Islam.

Angesichts der Bilder von Guantanamo und Abu Ghureib ist es dieser Tage nicht gerade schwer, zu belegen, dass der Westen generell islamfeindlich sei, wie Terrorchef Osama Bin Laden predigt. Doch die angebliche Verhöhnung des Propheten und damit aller Muslime war mehr als nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Denn die dänischen Zeichnungen symbolisieren eine zentrale Angst vieler, auch gemäßigter Muslime – dass die Globalisierung des Marktliberalismus und einer geistlosen kapitalistischen Konsum- und Spaßkultur, die selbst Che Guevara in einen modischen T-Shirt-Aufdruck verwandelt, von ihrer islamischen Identität am Ende nicht mehr übrig lassen wird als eine Karikatur.

Diese Ängste bedienen die Scharfmacher des politischen Islamismus, denen es um den Kampf gegen die moderne Welt samt ihrer demokratischen Verfassung und ihrer Auffassung von Menschenrechten geht. Nach dem Desaster im Irak zeigen die Wahlen in Ägypten im vergangenen Dezember und der Sieg der Hamas im Januar, garniert mit dem kaum getarnten Vorhaben Irans, Atomwaffen zu produzieren, sowie seiner erklärten Absicht, Israel von der Landkarte zu tilgen, ein Erstarken der radikalen Kräfte.

Doch der Konflikt besteht nicht zwischen dem Westen und dem Islam, sondern vielmehr mit den Gegnern der offenen Gesellschaft, die es sich zum Ziel gesetzt haben, alles zu bekämpfen, was der Scharia zuwiderläuft, und die in diesem Sinne auch die Grenzen der westlichen Meinungsfreiheit definieren wollen. Mit fundamentalistischen Fanatikern, die nicht nur die zerstörerische Kraft der Mohammed-Bildnisse geschickt zu instrumentalisieren wussten, sondern darüber hinaus auch gezielt Gerüchte streuten, um die Stimmung anzuheizen, etwa dass in Dänemark dazu aufgerufen werde, den Koran zu verbrennen, oder dass es sich bei Bluitgens Kinderbuch um einen verfälschten „neuen Koran“ der dänischen Regierung handele.

Die Fundamentalisten hätten, meint der in Köln lebende iranische Schriftsteller Navid Kermani, reagiert „wie Pawlow’sche Hunde, vorhersehbar, gedankenlos, brutal. Sie kläffen auf Lichtzeichen und beißen zu auf Befehl.“ Denn ein „Kampf der Kulturen“ war in Dänemark zweifellos beabsichtigt. „Die Karikaturen sind eine pubertäre Demonstration der Ausdrucksfreiheit, die bewusst auf den Gefühlen vieler Menschen herumtrampelt“, kommentierte etwa der ehemalige dänische Außenminister Uffe Ellemann Jensen und forderte den Rücktritt von Jyllands-Posten-Chefredakteur Juste. „Jyllands-Posten wollte Ärger anzetteln“, schrieb die dänische Politologin Jytte Klausen. „Und in dieser Mission handelte die Zeitung gemeinsam mit der dänischen Regierung.“ Salopper formulierte es Erik Bjerager, Chefredakteur des Kristeligt Dagblatt: „Das war wie ein Schüler, der ‚Pussi‘ auf die Tafel schreibt, um zu sehen, was die Lehrerin macht.“

Doch aus Wind ist nun Sturm geworden, und was daraus folgte, war eine Spirale der gegenseitigen Provokationen. Anfang Februar waren die dänischen Karikaturen in ganz Europa nachgedruckt worden. Am 7. Februar schrieb Hamschahri, die größte Zeitung Irans, einen internationalen Wettbewerb aus und forderte unter dem Titel „Wo liegt die Grenze der westlichen Meinungsfreiheit?“ auf seiner Website und in Anzeigen zur Einsendung von Holocaust-Karikaturen auf. Für die zwölf (!) besten Arbeiten sollen die Zeichner mit Goldstücken entlohnt werden. „Die westlichen Zeitungen haben die gotteslästerlichen Karikaturen unter dem Deckmantel der Pressefreiheit gedruckt“, kommentierte Chefredakteur Farid Mortazawi. „Jetzt wollen wir sehen, ob sie zu dem stehen, was sie sagen, und auch die Holocaust-Karikaturen drucken.“

Beleidigungen würden angeblich nicht zugelassen, sagte Davud Kasemi, der den Wettbewerb leitet, ohne dies jedoch näher zu erläutern. „Wir wollen nur zeigen, dass die Meinungsfreiheit auch im Westen beschränkt ist.“ Er betonte, dass die iranische Regierung nichts mit dem Wettbewerb zu tun habe. Mitorganisator sei das Karikaturen-Haus in Teheran, in dem die Zeichnungen später auch ausgestellt werden sollen. „Wir erwarten, dass die Zeitungen, die die Mohammed-Karikaturen veröffentlicht haben, die Karikaturen abdrucken, die während unseres Wettbewerbs ausgewählt werden“, sagte Kasemi. Teilnehmen dürften auch israelische Zeichner, Einsendeschluss sei der 5. Mai.

Das traf genau ins Mark, denn es zielte auf die schwelende Verunsicherung, auf welche Grundwerte sich eine Gesellschaft eigentlich beruft, in der Rekordgewinne Massenentlassungen zur Folge haben und Geiz nicht asozial, sondern geil ist. So war die Diskussion über die Karikaturen in Europa auch schnell umgekippt in eine vehemente Verteidigung der Pressefreiheit.

Die ist in der Tat ein hohes Gut, der Lebensnerv der Demokratie, doch natürlich und aus gutem Grund längst nicht grenzenlos. Kinderpornografie gehört zu den Tabuthemen ebenso wie Geheimdienstinformationen oder Rassismus. Und natürlich die Verspottung und Entehrung der Opfer des Holocaust wie dessen Leugnung. Nun herrschte auf einmal Argumentationsnotstand. Hektisch erklärte Flemming Rose gegenüber CNN, Jyllands-Posten erwäge auch den Abdruck der iranischen Karikaturen, was Chefredakteur Juste jedoch umgehend dementierte und Rose in den Urlaub schickte. Das französische Satireblatt Charlie Hebdo hingegen blieb bei seiner Ankündigung, die Zeichnungen aus Teheran zu veröffentlichen.

Die Zeitschrift (in der Mitte Februar auch die Zeichnungen von Ralf König zum Karikaturenstreit erschienen sind) hatte in ihrer Ausgabe 712 vom 8. Februar auch die Mohammed-Karikaturen gedruckt – scharf kritisiert von Staatschef Jacques Chirac, der erst kurz zuvor öffentlich von einem atomaren Erstschlag deliriert hatte, falls durch die Entwicklungen in Iran vitale französische Interessen berührt würden. Die Ausgabe zeigte auf dem Titel eine ganzseitige Zeichnung von Cabu, den Propheten mit gerötetem Gesicht, der sich verzweifelt die Hände vor die Augen schlägt und in einer Sprechblase seufzt: „Es ist hart, von Idioten geliebt zu werden.“ Binnen weniger Stunden war die Nummer ausverkauft und musste drei Mal nachgedruckt werden. Statt der sonst üblichen 65.000 Hefte verkaufte Charlie Hebdo in dieser Woche 420.000 Exemplare.

Drohungen ließen nicht lange auf sich warten. Die Pariser Redaktion in der rue de Turbigo musste unter Polizeischutz gestellt werden, Chefredakteur Philippe Val, Cabu und der letztjährige Angoulême-Preisträger Georges Wolinski, der ebenfalls eine Zeichnung beigesteuert hatte (einen über Karikaturen gebeugten Mohammed: „Das ist das erste Mal, dass ich über die Dänen lachen kann!“), werden seitdem auf Schritt und Tritt von je zwei Leibwächtern begleitet.

Während France Soir die dänischen Zeichnungen schon gut eine Woche zuvor aus Sensationsgeilheit und in durchaus provokativer Absicht veröffentlicht hatte, ist Charlie Hebdo über einen solchen Verdacht erhaben. Seit seiner Gründung 1970 zeichnet sich das libertär-antiautoritäre Blatt durch seine bissige Kritik an religiösen Fanatikern aller Schattierungen aus, vor allem reaktionäre Christen sind immer wieder ins Visier geraten. „Es herrschte Einstimmigkeit darüber, dass wir das publizieren werden“, kommentierte Philippe Val die Entscheidung der Redaktion, die Mohammed-Zeichnungen abzudrucken. „Die Diskussion dauerte zwei Minuten.“

Charlie Hebdo stellte die Ausgabe ganz unter das Thema der Zensur aus religiösen Motiven und begleitete die vergleichsweise klein reproduzierten Karikaturen aus Jyllands-Posten mit kritischen dokumentarischen Texten. In der Heftmitte findet sich ein doppelseitiger Comic des Zeichners Luz, in dem sich Anhänger unterschiedlichster Glaubensrichtungen zu einer Party versammeln und sich die größte Mühe geben, alle wichtigen Ge- und Verbote zu beachten. Niemand hat Spaß, aber am Ende brennt das Haus. Auch die traditionelle Rubrik „Titelbilder, die Ihnen erspart blieben“ auf der letzten Seite steht ganz unter dem Thema des Karikaturenstreits und zeigt unter anderem einen brennenden Tintin, umringt von vier Mullahs, von denen einer fragt: „Seid ihr sicher, dass das die Karikatur des Propheten ist?“

Bezüglich der Ankündigung, auch die Holocaust-Zeichnungen drucken zu wollen, sagte Val dem in Paris lebenden Journalisten Bernhard Schmid, dass Charlie Hebdo die Karikaturen mit kritischen Anmerkungen „von renommierten Historikern“ versehen werde. Es ginge einzig darum, den zentralen Unterschied deutlich zu machen. „Die dänischen Karikaturen hatten eine Kritik der Religion zum Gegenstand, wie sie in einer Demokratie dann notwendig ist, wenn die Religion einen Einfluss auf die Politik auszuüben beansprucht. Bei den iranischen Zeichnungen dagegen handelt es sich um Aufstachelung zum Rassenhass und um die Beleidigung nicht einer Religion, sondern einer Gruppe von Menschen, die unveräußerbare Rechte haben.“

Einen Vorgeschmack auf das, was Hamschahri in Aussicht gestellt hat, gaben bereits die Zeichnungen, die eine „Arab-European League“ in Antwerpen auf ihrer Website veröffentlicht hat. Eine zeigt Hitler im Bett mit Anne Frank. „Nach den Lektionen, die Araber und Muslime von den Europäern über freie Meinungsäußerung und Toleranz erteilt wurden, haben wir uns entschlossen, in das Cartoon-Geschäft einzusteigen und unser Recht auf künstlerische Freiheit zu nutzen,“ heißt es erläuternd.

Der Mann, der zum nächsten Schlag ausholte, war Roberto Calderoli, Mitglied der italienischen Lega Nord und Reformminister der Mitte-rechts-Regierung. Während eines Fernsehinterviews am 17. Februar knöpfte er auf einmal vor laufender Kamera sein Oberhemd auf und zeigte darunter ein T-Shirt mit einer der Mohammed-Karikaturen. Am Tag darauf entflammte die Gewalt auch in Nigeria, wo es zu regelrechten Massakern kam, und im bisher ebenfalls ruhig gebliebenen Libyen. In Benghasi setzten Demonstranten die italienische Botschaft in Brand, elf starben, als die Polizei in die Menge schoss. Revolutionsführer Muammar al Gaddafi suspendierte seinen Innenminister; Libyen ist einer der wichtigsten Lieferanten von Öl und Erdgas für Italien. Am Tag darauf forderte in Rom Ministerpräsident Silvio Berlusconi Calderoli zum Rücktritt auf. Der für seine populistischen Provokationen bekannte Minister bekundete, er käme der Aufforderung lediglich nach, um Schaden von der Regierung und Italien abzuwenden, nicht jedoch, weil er zu seiner „freien Meinungsäußerung“ nicht berechtigt gewesen wäre. Inzwischen ließ er T-Shirts mit dem Aufdruck „Ich bin stolz, ein Christ zu sein“ drucken.

Der Irrsinn tobt auf beiden Seiten, ausgelöst von einer Provinzzeitung im einst so gemütlichen Dänemark, das bislang „Probleme nur vom Hörensagen kannte“, wie es der Leiter des Goethe-Instituts in Kopenhagen, Christoph Bartmann, formulierte. „Ein nationaler Schrebergarten, in dem nicht einmal Naturkatastrophen vorstellbar waren, keine Erdbeben, keine Waldbrände, keine Lawinen, und wenn irgendwo einmal ein Schweinetransport entgleist war, erfuhr man davon in den Hauptnachrichten.“

Nun herrschen Ausnahmezustand und die Angst im Königreich, womöglich zum nächsten Terrorziel für al-Qaida zu werden. Das dänische Außenministerium hat auf Grund von Sicherheitsbedenken seine Botschaften in Indonesien, Iran, Syrien, Libanon und Pakistan geschlossen. Derweil breiten sich die Unruhen weiter aus, bei Tumulten in Islamabad, Peshawar und Bangladesch kam es zu zahlreichen Toten. Auch in Hongkong und Malaysia gingen Muslime auf die Straßen, und im russischen Wolgograd wurde die Zeitung Gorodskije Westi geschlossen, nachdem dort eine neue Karikatur erschienen war, die neben Mohammed auch Moses, Jesus und Buddha zeigt. Die versammelten Religionsstifter verfolgen die Krawalle im Fernsehen und mahnen: „Das haben wir euch aber nicht gelehrt!“

Für die Zeichner der Karikaturen, die den Sturm der Empörung entfachten, ist die Bedrohungslage längst real geworden. Sie stehen, ebenso wie die Redaktion der Jyllands-Posten, nach Todesdrohungen unter Polizeischutz, einige sind mit unbekannter Adresse untergetaucht. Bereits vor der Eskalation des Konflikts, im November vergangenen Jahres, hatte in Pakistan die Jugendorganisation der fundamentalistischen Partei Jamaat-i-Islami ein Kopfgeld von umgerechnet je 6.500 Euro auf die dänischen Karikaturisten ausgesetzt. Als westliche Medien darüber berichteten, dementierte der Vorsitzende der Organisation und versicherte, dass „kein Kopfgeld ausgesetzt worden ist“. Dem widerspricht allerdings Dänemarks Botschafter in Islamabad, Bent Wigorski: „Es gibt keinen Zweifel, dass die Jugendorganisation eine Belohnung ausgesetzt hat. Sie haben nur nicht erwartet, dass jemand im Westen davon erfahren würde, und jetzt versuchen sie, zurück zu rudern.“

Dass das Säbelrasseln ernst zu nehmen ist, zeigen etwa der Fall des Schriftstellers Salman Rushdie, über den Ajatollah Chomeni 1989 das (auf fortgesetzten Druck der UN neun Jahre später wieder aufgehobene) Todesurteil verhängte, da dessen Roman Die Satanischen Verse einige Passagen enthält, die sich als Satire auf den Propheten Mohammed verstehen ließen, oder der bestialische Mord an dem holländischen Regisseur Theo van Gogh. Hassan Nasrallah, Chef der schiitischen Hisbollah im Libanon, bedauerte jetzt öffentlich, dass kein „Muslim das Fatwa gegen den Ketzer Salman Rushdie ausgeführt“ habe, denn dann würde sich heute „kein Ketzer trauen, den Propheten zu beleidigen“. Am 6. Februar forderten Demonstranten in Teheran die Todesstrafe für die dänischen Karikaturisten.

Elf Tage später setzte der Vorbeter der Mohabat-Khan-Moschee in Peshawar, Mohammed Yousef Qureshi, ein Kopfgeld von 25.000 Dollar und ein Auto aus. „Wenn der Westen ein Kopfgeld für Osama bin Laden zahlt, können auch wir eine Belohnung für die Tötung der Männer ankündigen, die diese Schmähung des heiligen Propheten verursacht haben“, sagte Qureshi und forderte islamische Organisationen auf, ebenfalls Prämien zur Verfügung zu stellen. Die Vereinigung der Goldschmiede einer Provinz im Nordwesten Pakistans versprach daraufhin eine Million Dollar. Der Minderheitenminister im bevölkerungsreichsten indischen Bundesstaat Uttar Pradesh, Haji Yaqoob Qureshi, lobte umgerechnet sogar mehr als elf Millionen Dollar für die Tötung der Zeichner aus, eine Taliban-Organisation zudem angeblich 100 Kilo Gold.

Ins Visier geriet auch der Berliner Karikaturist Klaus Stuttmann, der am 10. Februar im Tagesspiegel eine Zeichnung zur Diskussion über einen Einsatz der Bundeswehr während der Fußball-WM veröffentlicht hatte, die die iranische Mannschaft mit Sprengstoffgürteln zeigt. Allerdings werden auch die Stimmen jener Muslime vernehmbarer, die nicht länger bereit sind, sich von den Fundamentalisten in Sippenhaft nehmen und für den „Kampf der Kulturen“ rekrutieren zu lassen. „Ihr habt kein Recht, irgendjemanden zu töten, niemand ist berechtigt, dies im Namen des Islam zu tun“, sagte Ekmeleddin Ihsangolu, Generalsekretär der Organization of the Islamic Conference, der weltweit größten Muslim-Vereinigung, und forderte dazu auf, die gewalttätigen Proteste gegen die Karikaturen einzustellen.

Flemming Rose, der Feuilletonchef der Jyllands-Posten, auf den ebenfalls ein Kopfgeld ausgesetzt ist, hatte noch Ende Januar, als der Konflikt gerade zu eskalieren begann, bekundet, auch verletzender Humor sei schließlich integrativ. „Denn über wen wir uns lustig machen, der gehört zu uns. Es ist für die Betroffenen nicht immer leicht auszuhalten, aber das ist nun mal der Preis.“ Die Realität sieht freilich anders aus. „Wir müssen gar nicht mehr missionieren, die Jugendlichen rennen uns von selbst die Türen ein“, frohlockte Abu Laban, der Imam, der die Bilder im Dezember in die arabische Welt getragen hatte. „Ich muss der Regierung für ihre Sturheit danken.“

„Die ganze Aktion war eine sinnlose Provokation um der Provokation willen“, sagte die Karikaturistin Gitte Skov, die dem Aufruf, Mohammed zu zeichnen, nicht nachgekommen war. „Man hätte mich genauso fragen können, ob ich wage, Jesus ein Horn auf die Stirn zu zeichnen. Natürlich wage ich das – aber wozu?“

Eine der Karikaturen, die Flemming Rose am 30. September veröffentlicht hatte, zeigt einen leicht weggetreten wirkenden Schüler – „Mohammed, Klasse 7a“ – vor einer Tafel mit arabischen Schriftzeichen. Der Zeichner Lars Refn hat sich damit geschickt um seine Aufgabe herum gemogelt, den Propheten zu zeichnen und das Bildverbot zu brechen. Der arabische Text auf der Tafel, den Rose wohl für eine Zeile aus dem Koran hielt, lautet übersetzt: „Die Redaktion von Jyllands-Posten ist eine Bande reaktionärer Provokateure.“

Die Imame, in deren Muttersprache dieser Kommentar verfasst ist, ließ das allerdings nicht stutzig werden. Wie auch für seine elf Kollegen ist der Alltag für Refn nicht zurückgekehrt, er lebt bis heute unter Polizeischutz.

Der Konflikt zwischen Pressefreiheit und dem Respekt vor religiösen Befindlichkeiten hat den eigentlichen Streitgegenstand vollständig in den Hintergrund treten lassen. Wie im Chor wurden die Mohammed-Zeichnungen von Politikern wie Journalisten, aber auch von vielen Künstlern, durchweg als „geschmacklos“, „inakzeptabel“, „widerlich“ und „aufhetzend“ bezeichnet, selbst an Vergleichen mit den antisemitischen Karikaturen aus der Zeit des Nationalsozialismus fehlte es nicht. „Die Stereotypisierung durch Karikaturen“, orakelte die New York Times, „hat eine düstere Geschichte in Europa“, und sogar Günter Grass fühlte sich an den Stürmer erinnert.

Nirgendwo jedoch hat eine Auseinandersetzung mit den Zeichnungen stattgefunden, kaum irgendwo findet sich bis jetzt eine kritische Beurteilung. Und so beruht die ganze Aufregung im Grunde zu großen Teilen auf Hörensagen und Informationen aus zweiter Hand. Nur wenige Muslime haben die Karikaturen je gesehen, aber auch im Westen bekam man sie nach jenem 1. Februar, an dem sie wie auf Knopfdruck zeitgleich in ganz Europa gedruckt wurden, aus Gründen der Zurückhaltung und sicher auch der Sorge vor Anschlägen außerhalb des Internets kaum noch zu Gesicht. In den USA etwa hat nur eine einzige Tageszeitung, der Philadelphia Enquirer, die Zeichnungen abgedruckt.

Das Niveau und die Qualität der zwölf Karikaturen, für die Jyllands-Posten den Zeichnern ein Honorar von je 100 Euro zahlte, ist sehr unterschiedlich. Zwei Zeichner haben sich selbst porträtiert und die Fragestellung ihres Auftraggebers aufgegriffen, „wie weit die Selbstzensur in der dänischen Öffentlichkeit geht“. Einer von ihnen sitzt im Licht einer Funzel und verdeckt mit dem Arm ängstlich ein bärtiges Gesicht, das er gerade zeichnet, dem anderen, der ein Strichmännchen mit einem Turban auf einen Zettel gekritzelt hat, fällt ein Wurfgeschoss auf den Kopf. Hier werde, kommentierte Andreas Platthaus in der FAZ, „eher ein Jammerton angeschlagen: Liebe Muslime, seht dem kleinen Dänemark das Ganze doch nach! Die Entschuldigung, die jetzt so vehement der Zeitung, der dänischen Regierung, ja der ganzen Europäischen Union abverlangt wird, war im Projekt also bereits angelegt.“

Tatsächlich klagte ein Zeichner, der untergetaucht ist und namentlich nicht genannt werden will: „Wir Dänen sind ja so naiv und wissen wenig von der Welt und vom Islam.“ Aus welchem Grund, darf man sich fragen, hat er dann den Auftrag angenommen, sich als Publizist zu Mohammed zu äußern?

Zwei Zeichner hatten die Idee, das Gesicht des Propheten aus Sichelmond und Stern zu bilden und somit zu abstrahieren. Auf einer Karikatur trägt Mohammed im Turban eine goldene Mondsichel, die jedoch eher an Hörner erinnert als an einen Heiligenschein. Auf einer anderen, der einzigen künstlerisch herausstechenden Arbeit, sieht er, müde und gebeugt, in die untergehende Sonne, die den Islam symbolisiert.

Den meisten Zorn in der arabischen Welt zog jedoch die Karikatur von Kurt Westergaard auf sich. An Stelle eines Turbans trägt Mohammed darauf eine Erdkugel (auf den meisten schlechten, aus dem Internet gezogenen Reproduktionen nur schwer zu erkennen), an der eine Lunte brennt – eine Zeichnung, die heute geradezu prophetisch erscheint. Westergaard hat seinen Auftrag, „Mohammeds Antlitz“ zu zeichnen, erweitert und einen politischen Kommentar zur aktuellen Situation in der arabischen Welt abgegeben.

Der mag streitbar und in der Tat provozierend sein, doch genau das ist Sinn und Zweck und Wesen der Karikatur. Seit Charles Philipon im Paris der 1830er Jahre den verhassten Bürgerkönig Louis-Philippe zur Birne mutieren ließ (ein Bildfeinfall, für den er mit Geld- und Gefängnisstrafen büßen musste, und der noch 150 Jahre später auf Helmut Kohl Anwendung fand) und das Genre zu einer Kunst der Empörung und inneren Auflehnung machte, ist die Karikatur ein vornehmlich journalistisches, dem Leitartikel verwandtes Metier. Dass sie sich der Übertreibung bedient, besagt bereits die Gattungsbezeichnung, die sich von dem italienischen „caricare“ (überladen, übertreiben) ableitet. Karikaturen spitzten tagesaktuelle Situationen bildlich in satirischer, ironischer oder sarkastischer Weise zu, um die inneren Widersprüche unserer Wirklichkeit bloßzulegen und durchschaubar zu machen. Das unterscheidet sie vom Spottbild und macht sie zu einer unentbehrlichen Kommunikationsform innerhalb einer Demokratie.

In diesem Sinne hat auch der Zeichner einer weniger beachteten Karikatur seine Aufgabe verstanden. Er hat Mohammed als wüsten Taliban dargestellt, der mit einem Säbel in der Hand auf den Betrachter zu stürmt. Seine Augen sind von einem schwarzen Balken verdeckt, dessen Größe und Form identisch ist mit den Sehschlitzen in den Burkas der beiden Frauen, die links und rechts hinter ihm stehen. Durch die Schlitze erkennt man ihre vor Schreck geweiteten und mit Angst erfüllten Augen: Im Gegensatz zu dem zornesblinden Gotteskrieger sehen sie, was geschehen wird.

Die zweifellos beste (und in Europa am häufigsten reproduzierte) Karikatur stammt von Jens Julius, der den Propheten als Himmelswächter mit ausgebreiteten Armen auf einer Wolke zeigt. Einer Gruppe noch qualmender Selbstmordattentäter, die Einlass ins Paradies begehren, ruft er zu: „Halt, halt, uns sind die Jungfrauen ausgegangen!“ Lässt sich ein irrer Glaube, dafür, dass man sich und Unbeteiligte in die Luft sprengt, in ein Paradies zu gelangen, das man sich als Gratisbordell ausmalt, besser und treffender kommentieren?

Das Niveau der meisten Karikaturen aus Jyllands-Posten ist jedoch – handwerklich wie bezüglich ihrer Aussage – eher dürftig. Keine von ihnen ist nach unserem Karikaturenverständnis allerdings in grober Weise beleidigend oder gar rassistisch. Der Ekstra Bladet-Journalist Kaare Quist, der sich intensiv mit den Hintergründen des Bilderstreits beschäftigt hat, ist somit auch der Überzeugung, dass die zwölf Zeichnungen kaum zu Aufregung in der arabischen Welt geführt hätten, wäre es den fundamentalistischen Predigern Abu Laban und Akkari nicht in den Sinn gekommen, islamischen Geistlichen und Politikern weitere, in der Tat schweinische Bilder unterzuschieben und dabei den Eindruck zu erwecken, diese seien quasi von der dänischen Regierung in Auftrag gegebene und verbreitete Schmähungen des Islam: „Die Zeichnungen in Jyllands-Posten sind im Vergleich harmlos.“

Was bleibt, ist somit der Vorwurf der Blasphemie durch die Verletzung des Bildverbots. Doch zum einen gibt es selbst in etlichen islamischen Ländern vielfältige Ausnahmen, und im Koran findet sich keine explizite Aussage dazu, dass der Prophet nicht dargestellt werden darf. Und zum anderen ist islamisches Religionsrecht im säkularen Dänemark nun einmal nicht Gesetz. UN-Generalsekretär Kofi Annan, den der Generalsekretär der Arabischen Liga, der ehemalige ägyptische Außenminister Amr Mussa, zur Hilfe rief, hatte deshalb Unrecht, als er von einem „Missbrauch der Pressefreiheit“ sprach. Die bildliche Absenz des Propheten lässt sich in Europa nicht einklagen, das Anliegen kann nur respektiert werden. Recht hatte Annan allerdings mit seiner Empfehlung, den Streit durch einen friedlichen Dialog zu ersetzen.

Juristisch wird der Schutz der Sakralsphäre durch das Persönlichkeitsrecht gewährleistet. Der Tatbestand der Herabsetzung und Beschimpfung von Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen wird in Deutschland zudem durch Paragraf 166 des Strafgesetzbuches geregelt, seit 1969 mit der Einschränkung, dass die Strafbarkeit – bis zu drei Jahre Freiheitsentzug – davon abhängt, ob die Beschimpfung „geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Damit wollte der Gesetzgeber gewährleisten, dass über die Religion ebenso offen gestritten – und gescherzt – werden kann, wie über jeden anderen Aspekt des öffentlichen Lebens. Weitgehend ähnliche Regelungen gibt es in allen westlichen Demokratien – im dänischen Strafrecht etwa in Artikel 140, den allerdings Fogh Rasmussens Venstre-Partei vor Beginn der Affäre, pikanterweise und ohne Erfolg, zweimal abzuschaffen versucht hatte – und finden bei schwerwiegenden Verstößen auch Anwendung.

So gab ein Gericht in Italien etwa der Klage wegen „Beleidigung einer staatlich anerkannten Religion“ gegen die offenbar geisteskrank gewordene Schriftstellerin Oriana Fallaci statt, die nach den Anschlägen vom 11. September in ihrem Bestseller Die Wut und der Stolz die Muslime insgesamt als „Kamelficker“ beschimpft hatte, die fünfmal am Tag „den Hintern in die Luft strecken, um zu beten“, und sich „vermehren wie die Ratten“ (was die in New York lebende Autorin allerdings nur mit einem deftigen „Fuck you“ quittierte). In Westfalen wurde kürzlich ein 61jähriger Kaufmann, der den Koran als „Kochbuch für Terroristen“ bezeichnet und mit der Aufschrift „Koran“ bestempeltes Klopapier verbreitet hatte, zu 300 Stunden Sozialarbeit verurteilt.

Insgesamt gilt in den permissiven Gesellschaften jedoch der kluge Grundsatz, die Rücksichtnahme auf religiöse Empfindlichkeiten dem Taktgefühl und nicht der Rechtsprechung zu überlassen. Jyllands-Posten hat mit der Veröffentlichung der Karikaturen zwar gegen kein Gesetz verstoßen, aber genau diese Maxime gewollt missachtet und damit verantwortungslos und grob fahrlässig gehandelt. Den Boden für den Eklat allerdings hat die Regierung bereitet, die Parlamentsreden lautstarken Beifall spendete, in denen Muslime als „ein Krebsgeschwür der dänischen Gesellschaft“ beschimpft wurden. Peinlicher konnte die Regierung jetzt kaum demonstrieren, dass sie sich erst dann für die drängenden Probleme ihrer muslimischen Minderheit interessiert, wenn ihr wirtschaftlicher Schaden und Gewalt drohen. Den Hardlinern hat Fogh Rasmussen damit eine gefährliche Lektion erteilt.

Allerdings: Die Achtung, die mit dem Karikaturenstreit eingeklagt werden sollte, möchte man sich gerne auch vom Islam wünschen. Während es überall in Europa Moscheen gibt, ist etwa in Saudi-Arabien einreisenden Christen nicht einmal eine Bibel im Gepäck erlaubt, vom grassierenden Antisemitismus ganz zu schweigen. „Sollten Regeln für das friedliche Miteinander festgelegt werden“, schrieb Botho Strauß, „so hätte als eine der ersten zu gelten, dass man Christen nicht als ‚Ungläubige‘ denunziert.“ Respekt und Toleranz sind keine Einbahnstraße. Und somit ist der Karikaturenstreit auch zum Probelauf dafür geworden, wie weit der Westen bereit ist, seine demokratischen und pluralistischen Grundwerte zu verteidigen, wenn eine Religion sich anschickt, sich zum Richter über Wort und Bild aufzuschwingen.

Kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres, als die Mappe, mit der Abu Laban und Akkari die „Zunahme des Rassismus in Dänemark“ belegen wollten, bereits unter islamischen Geistlichen kursierte, der Geist aber noch nicht aus der Flasche war, warf der Vizepräsident der EU-Kommission, Franco Frattini, Jyllands-Posten vor, die Karikaturen trügen „zur wachsenden Islamophobie“ bei. „Ich selbst bin Katholik, und wenn jemand eine Zeichnung eines heiligen christlichen Symbols mit einer Bombe und einer Todesbotschaft produzierte, würde ich dies als persönliche Beleidigung empfinden.“

Bald darauf mehrten sich auch in Deutschland, vornehmlich in den Lagern der CDU/CSU und der katholischen Kirche, die Stimmen derer, die fragten, was uns eigentlich noch heilig ist, und einmal mehr die Diskussion los traten, ob es nicht geboten sei, der Pressefreiheit engere Grenzen zu setzen. „Es darf nicht alles mit Füßen getreten werden, was anderen heilig ist“, wetterte etwa der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber und nannte die Bestimmungen des Strafgesetzbuches, die die Beschimpfung religiöser Bekenntnisse unter Strafe stellen, „stumpf und wirkungslos“.

Einen Höhepunkt erreichte die allgemeine Erregungswelle im April, als MTV die Ausstrahlung der von der BBC produzierten (in England aber nicht gesendeten) Zeichentrickserie Popetown ankündigte, in der ein infantiler Papst, der „gern Verstecken spielt und Cola trinken möchte aber nicht darf, mit einem päpstlichen Hüpfstab in Form eines Kreuzes durch die Flure federt“, so der Spiegel. „Die wahren Herrscher von Popetown sind drei korrupte Kardinäle, die hinter der Bücherwand ihres Arbeitszimmers in einer Wellness-Oase residieren und darüber nachdenken, wie sie die reichsten Menschen der Welt werden.“ Zu Ostern hatte der Sender mit einem Jesus im Fernsehsessel geworben, hinter dem ein leeres Kreuz an der Wand hängt, dazu der Spruch: „Lachen statt rumhängen.“ Politiker und Journalisten reagierten auf die gewollte Provokation mit empörtem Reflex – wieder einmal, ohne zuvor etwas gesehen zu haben –, „geistige Umweltverschmutzung“ keifte der Augsburger Bischof Walter Mixa, die CDU forderte gar, MTV die Sendelizenz zu entziehen.

Derartige Hysterieattacken mobilisierte jene, die jetzt einen Kreuzzug gegen den Humor befürchteten. Völlig zu Recht, denn Religion, besonders wenn sie für sich beansprucht, Einfluss auf die Politik und das öffentliche Leben auszuüben, kann nicht per Gesetz zum Tabu der gesellschaftlichen Diskussion erklärt werden. „Wenn die im Vatikan über die Jahrhunderte so gekonnt hätten, wie sie wollten, sähe es auch hier im Westen finster aus“, sagte Ralf König in einem Interview mit der Berliner Zeitung. „Das Schlimmste wäre, wenn kritische oder satirische Töne ausblieben, weil wieder irgendwelche Leute meinen, ihren Gott mit Gewalt durchsetzen zu müssen.“

Die Bundesregierung hat in dieser Frage besonnen gehandelt und ohne jede triumphale Begleitmusik deutlich gemacht, dass die Freiheit der Presse nicht zur Debatte steht. Etwas anders sieht die Situation schon in Großbritannien aus, wo sich aus Angst vor neuen Terroranschlägen die BBC dafür entschuldigte, in ihrer Berichterstattung über den Bilderstreit die inkriminierten Karikaturen gezeigt zu haben, und Außenminister Jack Straw die Entscheidung europäischer Zeitungen, die Zeichnungen abzudrucken, mehrfach kritisierte. Aber was nützt das verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung, wenn Journalisten, Verleger und Künstler, die von diesem Recht Gebrauch machen, anschließend ihres Lebens nicht mehr sicher sein können? Wenn die Androhung von Gewalt zur Schere im Kopf führt?

Die zwölf dänischen Zeichner, die jetzt mit dem Tod bedroht werden, haben inzwischen einen Fonds gegründet, der bei den etwa 80 Zeitungen und mehr als 200 Fernsehsendern, die ihre Karikaturen aus dem Internet kopiert und weiterverbreitet hatten, Honorare einfordern will. Von den Geldern soll ein Preis für Meinungsfreiheit gestiftet werden. Ob ein ausreichender Betrag zusammenkommt, ist hingegen fraglich, denn die meisten Angeschriebenen lehnten eine Zahlung bisher mit dem Hinweis auf ihren Informationsauftrag ab. Auch der Dänische Journalistenverband zeigt sich skeptisch, da das öffentliche Interesse mittlerweile Vorrang vor dem Urheberschutz habe.

Das ist jämmerlich, denn es lässt die Betroffenen allein. Als Chomeni seinerzeit ein Fatwa gegen Salman Rushdie und all jene, die Die Satanischen Verse verbreiteten, erließ, und sich führende Tageszeitungen nicht einmal mehr getrauten, Anzeigen für das Buch zu drucken, fanden sich in Deutschland über 300 Verlage, Institutionen und Personen des öffentlichen Lebens zusammen, von Herbert Achternbusch bis zum kleinen Zytglogge Verlag. Aus dem Schutz der Gemeinschaft heraus konnte der Roman in einem eigens gegründeten Kollektivverlag, der keine direkte Angriffsfläche mehr bot, gegen die Bedrohung veröffentlicht werden. Freiheit, das scheinen wir vergessen zu haben, ist nicht umsonst zu haben. Man kann sie nicht beanspruchen ohne die Bereitschaft, sie zu verteidigen.

Angesichts der Maßlosigkeit der islamistischen Reaktion und des Irrsinns von Fanatismus und Terror ist auch in Deutschland bereits ängstliche Selbstzensur zu beobachten, die von Harald Schmidt bis in den Kölner Karneval reicht, der in diesem Jahr ohne Wagen mit religiösen Motiven stattfand. Das Satireblatt Titanic hingegen ließ sich nicht einschüchtern, es kommentierte den Karikaturenstreit mit gewohntem Spott und witzelte: „In einem Beiruter Frühstückscafé entzündete sich spontaner muslimischer Protest, als ein Gast mit den Worten ‚Das habe ich nicht bestellt!‘ aufsprang, das Büro des Cafébesitzers anzündete, ein Bild des Cafés verbrannte und anschließend darauf herumtrampelte. Wenig später protestierten Hunderttausende in den Straßen Beiruts gegen die schlecht organisierte Gastronomie im allgemeinen und schwerhörige Bedienungen im besonderen.“ Auf dem Titelbild befindet sich unten rechts eine kleine gelbe Ecke mit der Aufschrift „Bitte hier anzünden“.

Noch bevor Mitte August das Teheraner Karikaturen-Haus seine Ausstellung mit 1.200 Exponaten zum Holocaust eröffnete, die aus 61 Ländern eingeschickt worden waren, hatte im Feburar der israelische Karikaturist Amitai Sandy einen anderen Wettbewerb initiiert. Er rief Kollegen zu einem „Israeli Anti-Semitic-Contest“ auf, um den grassierenden Antisemitismus ad absurdum zu führen und „das Feuer mit Humor zu bekämpfen“. Schließlich ist es bei den Juden alter Brauch, sich über Juden lustig zu machen. „Bevor die anderen mit dem Finger auf uns zeigen, machen wir es lieber selbst.“ Zu den fünf Juroren, die die über 100 Einsendungen begutachteten und für eine Ausstellung in Tel Aviv auswählten, gehörte auch er New Yorker Maus-Zeichner Art Spiegelman. Der erste Preis ging an den 24jährigen Aron Katz aus Los Angeles, der einen orthodoxen Juden zeichnete, der auf der Brooklyn Bridge fidelt, während im Hintergrund die Türme des World Trade Center brennen – eine Parodie des in der islamischen Welt kursierenden Gerüchts, hinter dem 11. September stecke der Mossad. Ilan Touri, der den zweiten Preis erhielt, zeigte, was Auschwitz in den Augen von Islamisten „wirklich“ war: eine Filmkulisse.

Fünf Monate, nachdem die dänische Tageszeitung Jyllands-Posten einen Flächenbrand ausgelöst hatte, publizierte Flemming Rose einen Essay, um die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen zu rechtfertigen. Vor allem habe die Aktion „unangenehme Wahrheiten über das gescheiterte Experiment Europa mit dem Multikulturalismus zum Vorschein gebracht. Es wird Zeit, dass sich das alte Europa den Tatsachen stellt und seine Einstellung zur Einwanderung, Integration und der bevorstehenden muslimischen demografischen Flut ändert. Europa muss die Zwangsjacke der politischen Korrektheit abstreifen, die es ihm unmöglich macht, Minderheiten für irgendetwas zu kritisieren. (…) Als ich im vergangenen Jahr zwölf Karikaturen vom Mohammed veröffentlicht habe, sandte ich eine wichtige Botschaft: Ihr seid keine Fremden, ihr seid dauerhaft unter uns, und wir akzeptieren euch als ein integrierter Bestandteil unseres Lebens. Und wir werden euch auch der Satire aussetzen. Es war ein Akt der Einbeziehung, nicht der Ausgrenzung, ein Akt des Respekts und der Anerkennung.“

Das würde wohl auch ein Kannibale so sehen, der einen Missionar in den Kochtopf steckt. Und so eskaliert der Konflikt weiter. Youssef al-Hajdib, einer der beiden Verantwortlichen für die Kofferbomben-Anschläge auf zwei Regionalzüge nach Dortmund und Koblenz Ende Juli, war am 10. Februar auf einer Demonstration gegen die dänischen Karikaturen in Kiel gefilmt worden; nach libanesischen Geheimdienst-Angaben war sein Vater zuvor bereits bei einer gewalttätigen Demonstration gegen das Uno-Büro in Beirut aufgefallen.

Mit dem glücklicherweise gescheiterten Attentat ist der islamistische Terror auch in Deutschland angekommen. „Tatsächlich können sich Hajdibs Mitkollegiaten gut an ein Reizthema erinnern, das sie als Muslime allesamt bewegte“, schrieb Jochen Bittner, der die Biografie des 21jährigen Libanesen für die Zeit recherchiert hat. „In Haidib mag es einen Schalter umgelegt haben. Die Mathematiklehrerin wollte mit den Schülern über die umstrittenen Mohammed-Karikaturen reden. Hajdib, ein sonst eher ruhiger Schüler, rastete bei dem Tema regelrecht aus, berichtet einer, der mit im Klassenzimmer saß. Die Pädagogin habe darauf gepocht, dass sich auch Muslime bei aller berechtigten Kritik an die staatlichen Gesetze halten müssten. ‚Das wollte er aber nicht akzeptieren. Er verstand einfach nicht, dass in Deutschland Staat und Religion getrennt sind. Er sagte, nein, für einen Muslim sei das das schlimmste Vergehen überhaupt, sich ein Bild von Allah zu machen. Dafür verdiene der Täter Strafe.’“

„Gut möglich, dass ein solcher Geist selbst wie ein Zwei-Komponenten-Sprengstoff funktioniert,“ folgert Bittner. „Der radikale Grundstoff ist alleine noch nicht gefährlich, aber wehe, er kommt mit anderen, falschen Elementen in Berührung – dann kann er explosiv werden. Hat Hajdib vielleicht erst in Deutschland so richtig gelernt, den Westen zu hassen? Waren die Frauen, die ihn unterrichteten, die Mitschüler mit ihrer Popmusik und ihren Bierflaschen, all die kleinen und großen Sünden um ihn herum, ein paar Kulturschocks zu viel?“

Wohl aus dieser Befürchtung heraus sprach Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) im August Sicherheitsbedenken gegen die für den November 2006 geplante Aufführung von Mozarts Oper Idomeneo aus, woraufhin die Deutsche Oper die umstrittene Inszenierung des Regisseurs Hans Neuenfels im September vom Spielplan nahm. Neuenfels hatte eine schockierende Schlussszene vorgesehen, in der der König von Kreta die blutigen Köpfe der drei Religionsgründer Jesus, Buddha und Mohammed neben dem Poseidons auf Stühle setzt, womit er sich, so der Regisseur, gegen die Diktatur der Götter wehre. Die Entscheidung der Oper führte zu breiten Protesten und wurde auch von der Bundesregierung kritisiert: Wenn Sorge vor gewalttätigen Reaktionen „zur Selbstzensur führt“, so Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), gerate die freie Rede in Gefahr.

Inzwischen wurde Mozarts Oper wieder auf den Spielplan gesetzt, und auch eine Klage dänischer Islamverbände gegen Jyllands-Posten wegen Beleidigung einer Religionsgemeinschaft ging im Oktober in Kopenhagen mit Freisprüchen für die verantwortlichen Redakteure aus. Noch im Februar 2007 musste auch in Frankreich die 17. Pariser Strafkammer entscheiden, nachdem Charlie Hebdo von verschiedenen islamischen Organisationen wegen des Schürens von Islamophobie verklagt worden war und Chefredakteur Philippe Val im Falle einer Verurteilung bis zu sechs Monaten Haft gedroht hätten. Mehr als hundert Künstler und Intellektuelle unterzeichneten eine Petition zur Unterstützung, die Tageszeitung Libération druckte die Karikaturen als Solidaritätsbekundung zum Prozessbeginn am 7. Februar nochmals ab, und auch viele namhafte Politiker schlugen sich auf die Seite des Satiremagazins: „Lieber zu viele Karikaturen als keine Karikaturen“ forderte Innenminister Sarkozy und postulierte „ein Recht auf Lächeln“. Das Pariser Gericht entschied ebenfalls nach zweitägiger Verhandlung im Sinne der Meinungsfreiheit für das Recht auf Satire mit einem Freispruch Vals.

Im abschließenden zweiten Teil seiner Erzählung Dschinn Dschinn greift Ralf König die Karawane wieder auf, die Harun ar-Raschid vor gut 1.200 Jahren auf den langen und beschwerlichen Weg von Bagdad nach Aachen entsandte, wo Karl der Große über das Frankenreich herrschte. (Unter den Lasttieren war, verbürgt, übrigens auch ein weißer Elefant, den im Comic Otto Waalkes beigesteuert hat.) Am Schluss des Bandes steht ein Monolog, der ein wenig an die leidenschaftliche Rede Charlie Chaplins am Ende von Der große Diktator erinnert: „Sie tauschten Geschenke! Welcher friedliebende Mensch unter des friedliebenden Gottes friedliebendem Himmel seufzt über diesen kurzen Augenblick der Historie nicht tausend sehnsuchtsvolle Seufzer?“

(Comixene 93, April 2006)

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