GACKER, GACKER
Ausgerechnet mit einem Tabuthema wurde Ralf König zum international erfolgreichsten deutschen Comic-Zeichner. Vor 25 Jahren kritzelte er seine ersten schwulen Knollennasen aufs Papier. Es gratuliert Andreas C. Knigge
Wir befinden uns im Jahre 1981 n.Chr. Die ganze BRD ist von US-amerikanischen und frankobelgischen Comic-Helden besetzt … Die ganze BRD? Nein! Eine winzige Zahl von unbeugsamen Zeichnern hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten. Der heute leider in Vergessenheit geratene Tomas Bunk mit seinen genialen Karsten Dose Comics gehört dazu, Franziska Becker (Mein feministischer Alltag), um die es inzwischen ebenfalls still geworden ist, und der unlängst verstorbene Pardon– und spätere Titanic-Zeichner Chlodwig Poth. Gerhard Seyfried legt 1981 mit Invasion aus dem All-Tag sein erstes Buch in Farbe vor, und Brösels erster Werner-Band erscheint. Ansonsten jedoch Ebbe, weitgehend jedenfalls. Denn langsam und fast unmerklich regt sich etwas im besetzten Land. Ambitionierte Magazine wie Zomix, Hinz & Kunz und Blender werden Sammelbecken für Zeichner wie Volker Reiche, Hansi Kiefersauer oder Gabriel Nemeth alias Tschap, die Edition Becker & Knigge gibt einen umfänglichen Comic-Reader heraus, der mit Trucker auch die erste Veröffentlichung von Matthias Schultheiss enthält.
Als ich Anfang 1981, zusammen mit Hartmut Becker und Paul Derouet, in Hannover Deutschlands erste altpapierfreie Comic-Buchhandlung eröffnete, galt mein Augenmerk vor allem den Arbeiten deutscher Zeichner. Unter den Publikationen, die ich regelmäßig ins Schaufenster stellte, war auch ein dünnes DIN-A-4-Heft mit orangefarbenem Umschlag aus dem Verlag Rosa Winkel, über das ich damals in der Comixene notierte: „Schwul-Comix von Ralf König bietet eine Vielzahl lustiger Geschichten zum Thema Homosexualität, die Vorurteile gegenüber Schwulen aufzeigen und ad absurdum führen.“ Ein gesellschaftliches Tabuthema so schamlos, mit so viel Witz und völlig frei von Mitleids- und Betroffenheitsgesäusel, anzugehen, das war absolut neu.
Und es war mutig in Zeiten des damals noch gültigen Paragraphen 175 und der Kießling-Affäre, „schwul“ galt als schlimmstes Schimpfwort. 1977 noch hatte der Bayerische Rundfunk die Ausstrahlung von Wolfgang Petersens Verfilmung des Romans Die Konsequenz von Alexander Ziegler abgebrochen und statt dessen hektisch einen Heimatfilm ins Programm geschoben, im Jahr darauf provozierte der Stern einen Skandal, als sich in seiner Titelstory „Wir sind schwul“ über 600 Männer namentlich und teilweise mit Bild outeten. Ralf König, der gerade sein Coming-out durchlebte, scherte das alles wenig, sein Motto hieß trotzig „Schwul zu sein bedarf es wenig, ich bin schwul und heiß Ralf König“.
Gleich drei Comics brachte er 1981 heraus, neben Schwul-Comix noch Sarius und Das sensationelle Comic-Book, deren zwischen Naturalismus, Fantasy und Underground pendelnde Storys die Suche nach einem individuellen Stil demonstrieren. Heute rollt Ralf König mit den Augen, wenn man ihn auf seine ersten Arbeiten anspricht, um keinen Preis möchte er „diese Kritzeleien“ nachgedruckt sehen, „das wär mir absolut peinlich“. Doch bereits mit dem zweiten Schwul-Comix-Band hatte er zu seiner Stilistik und zu seinem Thema gefunden: Pointierte, vom zeichnerischen Minimalismus Claire Bretéchers beeinflusste Kurzgeschichten, in denen er selbstironisch und zwerchfellerschütternd die schwule Subkultur porträtiert. Das „Gacker gacker“ seiner Figuren ist längst in den deutschen Sprachschatz eingegangen. Zwei weitere Alben sowie mit der Film-noir-Travestie Kondom des Grauens eine erste längere Erzählung folgten, blieben jedoch zunächst Szene-Geheimtipps.
Ich empfahl, es bei einem Publikumsverlag zu versuchen. Der Semmel Verlach sagte ab, Eichborn sagte ab und einige andere ebenfalls. Bei Rowohlt pfefferte eine Sekretärin die eingeschickten Comics Jürgen Volbeding auf den Schreibtisch, damals Herausgeber der Reihe „rororo mann“, um zu zeigen, was für unzumutbare Manuskripte sie immer wieder abzulehnen habe. Volbeding jedoch war von Ralf Königs schrillem Humor begeistert und regte einen umfangreichen Comic-Roman an. So entstand 1987 Der bewegte Mann, der nicht nur gezeichnet ein Bestseller wurde, sondern sieben Jahre später auch als Verfilmung von Sönke Wortmann (die Til Schweiger den Durchbruch bescherte) mit 6,5 Millionen Zuschauern alle Rekorde brach und eine ganze Welle von Kinokomödien nach sich zog – ein Genre, das zuvor in Deutschland als DeMark-Grab gegolten hatte.
Seitdem sorgt Ralf König mit beeindruckender Produktivität ständig für Nachschub und strapaziert die Lachmuskulatur. 30 Bücher hat er in den vergangenen 25 Jahren veröffentlicht, und beinahe alle werden seit ihrem Erscheinen ständig neu aufgelegt, nicht nur in Deutschland. In insgesamt zwölf Sprachen wurden seine Comics übersetzt, zuletzt auch ins Gälische. Und als Thierry Groensteen im Jahr 2000 für die französische Nationalbibliothek die Ausstellung „Maîtres de la bande dessinée européenne“ konzipierte, nahm er neben e.o. plauen als einzigen weiteren deutschen Zeichner Ralf König auf.
Neben der pointierten Kurzgeschichte hat Ralf König mit dem epischen Comic-Roman ein zweites ideales Erzählformat gefunden, das er erstaunlich vielseitig und virtuos handhabt und für das er sich sogar Klassiker wie Aristophanes‘ Lysistrata oder Shakespeares Othello (Jago) vornahm und satirisch adaptierte. Seit 1990 taucht in beiden Formaten immer wieder das ungleiche Knollennasen-Paar Konrad und Paul auf, von denen jeder unterschiedliche Charakterzüge ihres Erfinders in sich trägt und deren Biografie sich als eine Chronik des schwulen Alltags lesen lässt; in dem Band Super Paradise etwa setzt sich König mit dem Thema Aids auseinander, in Sie dürfen sich jetzt küssen mit der Homoehe. So hat Ralf König mit seinen Comics wohl mehr zur gesellschaftlichen Liberalisierung beigetragen als es jedes Antidiskriminierungsgesetz vermag. Allerdings ist er auch zum Urheber eines neuen Vorurteils geworden, nämlich dass alle Schwulen Knollennasen haben.
Und dennoch: In ihrer genauen Beobachtung zwischenmenschlicher Beziehungen und der sorgfältigen Analyse alltäglicher Absurditäten sind Ralf Königs Comics viel zu universell, als dass sie nur von Schwulen goutiert würden. Bei Signierstunden stehen wohl mehr Frauen an als bei jedem anderen deutschen Comic-Zeichner. Dass gerade die in seinen Comics manchmal etwas durchgeknallt wirken, scheint dabei nur die Männer zu stören. Aber die interessiert natürlich ohnehin nur „das eine“. Als ich 1990 während des Erlanger Comic-Salons eine Podiumsdiskussion mit Ralf König moderierte, meldete sich im Publikum ein junger Mann zu Wort und bekundete zunächst, nicht homosexuell zu sein. Dann wollte er, mit deutlichem Bedauern in der Stimme, wissen: „Haben Schwule eigentlich tatsächlich so viel Spaß beim Sex wie in deinen Comics?“
Die größte Stärke seiner Geschichten liegt in ihrer Authentizität, die sich aus Ralf Königs autobiografischem Background speist und aus seinem sensiblen Gespür für die Strömungen des Zeitgeists. Letzteres allerdings kann auch schon mal problematisch werden, wie etwa bei seinem aktuellsten Werk Dschinn Dschinn, in dem er sich mit der Lustfeindlichkeit des radikalen Islamismus beschäftigt. Inmitten der Arbeit am ersten Band geschah der Mord an Theo van Gogh, kurz vor Abschluss des zweiten entbrannte der Karikaturenstreit und auf die dänischen Zeichner wurden Kopfgelder ausgesetzt. Beides warf Ralf König aus der Bahn, doch wie schon 25 Jahre zuvor bei seinem Coming-out reagierte er offensiv – mit einer Reihe von spitzen Zeichnungen gegen die Meinungsdiktatur (siehe Comixene 93). Für dieses Engagement wurde er in Erlangen mit dem Max-und-Moritz-Preis geehrt.
Den hatte er bereits 1992 als bester deutscher Comic-Zeichner erhalten, und seitdem sind etliche andere Auszeichnungen hinzugekommen, auch im Ausland. Erst im vergangenen Jahr erhielt Ralf König den Prix Alph’Art für das beste Szenario für Wie die Karnickel in Angoulême sowie in Lucca den Premio miglior storia lunga für die italienische Übersetzung von Bullenklöten. Fast noch mehr freut Ralf König jedoch ein Satz, der unlängst über seine neue Serie Roy & Al, in der zum ersten Mal Tiere, zwei Hunde, die Hauptrollen spielen, im französischen Le Monde stand: „Es kommt nur selten vor, dass uns ein Deutscher zum Lachen bringt.“
(Comixene 97, Oktober 2006)