„ALLMÄCHTIGER!“

Mit dem Fahrstuhl in die Lehningzeit

Der erste Internationale Comic-Salon in Erlangen macht das Jahr 1984 zu einem Wendepunkt, der sich in den Siebzigern mit Zack und den Carlsen-Alben angebahnt hatte. Die Ära der Heftverlage geht zu Ende, der Comic macht sich auf, als Kunst goutiert zu werden, der neue Trend heißt „Comics für Erwachsene“. Und so wäre man wohl – hätte das Festival ein Jahr früher stattgefunden – nicht einmal auf die Idee gekommen, in Erlangen ein Ereignis zu würdigen, das sich da zum dreißigsten Mal jährte: 1953 brachte der Walter Lehning Verlag in Hannover seine ersten „Piccolos“ an die Zeitungskioske und machte mit den Streifenheftchen für zwei Groschen Comics quasi über Nacht zum ersten Jugendkult im zertrümmerten Nachkriegsdeutschland; vorher gab es nur die Micky Maus. Nun aber stehen alle Zeichen auf Aufbruch. Erlangen signalisiert, dass eine neue Lesergeneration herangewachsen ist und der Comic nicht länger per se als „Schmutz & Schund“ gelten kann wie zu Lehnings Zeiten.

Allerdings findet nicht jeder Gefallen an Hugo Pratt, Druillet, Bilal oder Mœbius. Die erste Comic-Generation war mit dem Slogan „Keine Experimente!“ durch die Adenauerzeit geschifft und in der heißen Phase des Kalten Krieges hatten die treuen Helden von einst stets dafür gebürgt, dass am Ende doch das Gute siegt. Ihre Abenteuer, deren Endlos-Fortsetzungen man Woche für Woche entgegenfieberte, waren damals oft die einzigen Farbtupfer in der grauen Tristesse des Alltags. Mit der Studentenbewegung beginnt dann eine neue Zeit und die unverändert den Geist der muffigen Fünfziger atmenden Lehning-Hefte verschwinden, geradezu sinnbildlich gleich nach den Maiunruhen von 1968. Bald findet man sich zwischen Ölkrisen wieder statt wie eben noch im Wirtschaftswunder.

Doch eine unbeugsame Schar von Sammlern – anders sind Sigurd, Tibor oder Nick der Weltraumfahrer nun nicht mehr zu kriegen – hört nicht auf, dem Gang der Zeit zu trotzen. Ihr Mekka wird ein wehrhaftes Dorf im Odenwald, in dem, als die Hefte immer seltener auf Flohmärkten oder in Tauschläden zu finden sind, der Comic-Antiquar Norbert Hethke 1979 beginnt, einzelne Serien in kleinen Liebhaberauflagen nachzudrucken. Auf den Gedanken waren auch schon andere gekommen, doch Hethke hat Erfolg. Die damaligen Erstleser stecken jetzt in den späten Dreißigern und Vierzigern und verdienen gut genug, um ihren Jugenderinnerungen eine Frischzellenkur zu gönnen.

Die beharrlichen Fans von Roy Stark oder Bob und Ben, von Sigurd, Tibor, Falk und Nick, wissen noch gar nicht lange, wem sie den unvergessenen Thrill ihrer Jugendzeit verdanken, denn den Namen seines langjährigen, atemberaubend produktiven Hauszeichners, der an bis zu fünf Serien gleichzeitig arbeitete, hat Lehning stets vertuscht. Erst einige Jahre zuvor haben Berliner Aficionados Hansrudi Wäscher am Rand der Lüneburger Heide aufgespürt. Abermals anonym zeichnet er da nun, im Wechsel mit spanischen Studioartisten, für den Bastei Verlag die Fließbandserie Buffalo Bill – eine abgeschlossene Story pro Heft, keine Chance für verschlungen erzählte, verzwickt verzweigte Abenteuer, wie sie immer Wäschers Spezialität waren.

1981 entwickelt Wäscher die eigene Serie Fenrir, doch Bastei hat kein Interesse. Er zögert deshalb nicht lange, als Hethke ihm anbietet, „etwas neues“ für sein Sammlermagazin Die Sprechblase beizusteuern. Dass in der Comic-Welt inzwischen frischer Wind aufgekommen ist, war Wäscher nicht entgangen, mit Fenrir wagt er sich zum ersten Mal auf das noch wenig abgeerntete Terrain der Fantasy (und riskiert sogar einen leisen Hauch Erotik). Die Fans sind völlig aus dem Häuschen, als im April 1982 die erste Folge erscheint: Endlich, nach vierzehn langen Jahren, zeichnet ihr Idol wieder einen eigenen Comic, zwar mit ungewohntem Sujet, sonst jedoch ganz in gewohnter Manier und mit allen bewährten Ingredienzien der alten Lehning-Tage. Die Welt ist wieder in Ordnung.

Hethke hat plötzlich eine neue Perspektive für seinen Kleinverlag vor Augen – nicht nur die alten Hefte nachzudrucken, sondern Wäscher die Helden von damals zu neuem Leben erwecken zu lassen. Noch während er an Fenrir arbeitet, entwickelt Wäscher ein neues Sigurd-Abenteuer, diesmal im Format der gerade angesagten Alben. Hethke erhofft sich damit ein nicht allein nostalgisch motiviertes Publikum und präsentiert Kampf um Irf auf dem ersten Erlanger Comic-Salon – von den Sammlern wird er bejubelt und verehrt, die Mehrzahl der Besucher jedoch witzelt nicht nur hinter vorgehaltener Hand über die Erregung der alten Männer. 1984 erlebt die Comic-Szene den Höhepunkt ihres ersten Generationenkonflikts.

Durch Magie gelangen in dem neuen Abenteuer Sigurd und seine Kumpane Bodo und Cassim ins Reich Irf und befreien Fürstin Brunhilde „aus großer Not“. Am Ende steht das Trio wieder am Ausgangspunkt der Geschichte und mutmaßt, alles nur geträumt zu haben. „Nein!“, entfährt es Bodo dann. „Mein Arm ist wirklich verstaucht“ – tatsächlich steckt er nun in einer Binde. „Sigurd bleibt nachdenklich“, kommentiert der Abspann, als die ritterlichen Freunde, „wieder auf gewohnten Pfaden“, im letzten Bild davonreiten. „Und eine ungewisse Sehnsucht dämpft seine Freude über die Rückkehr in seine Welt.“

In gewisser Weise ist Sigurd mit seinem Comeback ja tatsächlich in eine andere Welt eingetreten, denn seine alte existiert nicht mehr. Ging sein Dramatik verkündender Lieblingsaufschrei „Allmächtiger!“ einst einer ganzen Nachkriegsgeneration durch Mark und Bein, reitet er jetzt für eine eingeschworene Hardcore-Klientel. Das allerdings tut er immerhin bis heute, inzwischen auch unter der Regie anderer Zeichner – seit 1984 sind längst mehr Hefte entstanden als seinerzeit für Lehning. Das macht Sigurd kein anderer deutscher Zeichenheld nach, was 2008 mit der Verleihung eines Max und Moritz-Preises an Hansrudi Wäscher für seine Pionierleistungen für den deutschen Comic auch in Erlangen endlich eine angemessene Würdigung fand. Womit ein weiterer Kreis sich geschlossen hat.

(unter dem Pseudonym Hartmut Becker in: Reddition 60, 2014)

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