GROSSER EINLAUF

Von Andreas C. Knigge

HAMBURG. Fast trotzig recken die drei Palmen ihre Büschel in den grauen Himmel. Die Kunstgewächse aus grün und braun lackiertem Stahl stehen seit vergangenem Jahr im Antoni Park auf St. Pauli, gleich gegenüber den Schwimmdocks und Hafenkränen auf der anderen Elbseite. Sie wirken wie eine Manifestation der Hoffnung, die die Hamburger einfach nicht aufgeben wollen: Irgendwann muss er doch kommen, der Sommer.

Normalerweise ist die Grünanlage auf dem Dach einer in den Geesthang gebauten Sporthalle am frühen Morgen menschenleer. Nur am Sonntag blinzeln hier die letzten Nachtschwärmer aus den umliegenden Bars und Diskotheken in den beginnenden Tag, und notorische Frühaufsteher beobachten das Treiben auf dem Fischmarkt zu ihren Füßen, während ihre Hunde um die Stahlpalmen streichen und schließlich doch das Bein heben.

Am gestrigen Montag allerdings herrschte Ausnahmezustand im Antoni Park. Bereits um halb sechs begann der Kampf um die besten Plätze. Wenig später verstopfen Autos die Zufahrtsstraßen zur Elbe, überall staut sich der Verkehr. Einige entnervte Fahrer lassen ihren Wagen einfach stehen, wo gerade Platz ist, und hasten zu Fuß weiter. Hamburg bekommt ja nicht alle Tage königlichen Besuch. Schon eine halbe Stunde, bevor man die „Queen Mary 2“ in St. Pauli sehen kann, hört man sie. 18 Kilometer weit dröhnt der lange, tiefe Ton des Schiffshorns. Hubschrauber knattern über den Hafen, und Dutzende voll besetzter Barkassen schaukeln dem Traumschiff durch den Morgendunst entgegen.

Die Hamburger Tourismus Zentrale rechnet mit 300.000 Schaulustigen, und der Touristik-Fachmann Guido Neumann schwärmt vom „größten Ereignis dieses Sommers“. Die ganze letzte Woche über haben Tageszeitungen und Lokalsender die Hanseaten auf die Ankunft der „Queen“ eingestimmt. „Eine Stadt hält den Atem an“, titelte etwa die Hamburger Morgenpost und stellte das größte jemals gebaute Kreuzfahrtschiff kurzerhand auf den Kopf: Mit 345 Metern vom Bug bis zum Heck wäre der 870 Millionen Euro teure Superdampfer, der erst im Januar vom Stapel gelaufen ist, 90 Meter höher als der Eiffelturm.

Besonders Verwegene haben die „Queen Mary“ bereits im holsteinischen Schulau erwartet, wo der Luxusliner um kurz nach fünf die Schiffsbegrüßungsanlage Willkommenhöft passiert. Kaum ist die englische Nationalhymne aus den blechern scheppernden Lautsprechern verklungen, eilen viele schon zu ihren Autos, um zum nächsten Aussichtspunkt zu rasen und das Schauspiel noch einmal zu erleben. Die Restaurants und Cafés entlang der Elbe sind trotz der frühen Stunde geöffnet. In einigen wärmen sich die Gäste mit heißer Erbsensuppe auf, in anderen werden Tee und Biskuits serviert.

Endlich ist die QM 2 auch vom Antoni Park aus zu sehen. Zunächst als grauer Schatten im grauem Dunst, dann zeichnet sich die weiße Brücke gegen die dichte Wolkendecke ab. Das Schiff ist gigantisch. Mit 62 Metern von der Wasserlinie bis zum Schornstein überragt es sämtliche Gebäude am Ufer und verschluckt den gegenüberliegenden Hafen wie eine nicht enden wollende Wand. Die Wasserfontänen, die die Löschboote der Feuerwehr zur Begrüßung in den Himmel schießen, wirken wie mickrige Springbrunnen. Langsam gleitet das Monstrum vorbei und auf die Landungsbrücken zu, lautlos und majestätisch, gefolgt von einem 500 Meter langen Tross aus Schleppern, Barkassen und Ausflugsdampfern.

Der Kaventsmann ist pünktlich. Zum Glück, denn die Landungsbrücken kann der Luxusliner nur passieren, wenn die Flut den höchsten Stand erreicht hat. Hier muss sich der 151.400-Tonnen-Koloss über die älteste Flussunterführung Europas schieben. Gut 13 Meter Platz bleiben um halb sieben bis zur Abdeckung des Alten Elbtunnels. Und die „Queen Mary“ hat zehn Meter Tiefgang – kaum weniger als einst die „Titanic“.

Doch das Manöver gelingt, eine halbe Stunde später macht die „Queen“ im Grasbrookhafen fest. Allerdings bietet Hamburgs neues Cruise Center am Dalmannkai den Reisenden einen noch deprimierenderen Anblick als die dunkelgraue Wolkendecke. Die Abfertigungshalle ist eine Billigkonstruktion aus 51 Übersee-Containern mit einem Segeldach. Kein Wunder, dass die Hälfte der 2.365 Passagiere, die bis zu 41.000 Euro für die Kreuzfahrt von New York nach Southampton bezahlt haben, den Landgang lieber für eine Stippvisite in Berlin nutzen.

Auch viele Hamburger sind enttäuscht, denn zu besichtigen ist die Königin der Meere nicht. Es herrscht Sicherheitsstufe 1, das gesamte Gelände um das Cruise Center ist weiträumig abgeriegelt. Einen Eindruck vom Leben und Luxus an Bord gibt nur eine Großbildleinwand, die in Sichtweite inmitten von Würstchenständen, Musikbühnen und Bierbuden aufgebaut ist. Man trinkt sich in die Erkenntnis, dass man sich das nie wird leisten können. Bereits am frühen Nachmittag werden druckfrische Ansichtskarten der „Queen“ vor der Hamburger Skyline verkauft, am späten Abend dann beschließt ein Feuerwerk die Traumschiff-Party.

Wenn die QM 2 morgen früh gegen sieben Uhr die Rückreise zu ihrem Heimathafen Southampton antritt, laviert sie noch einmal über den Elbtunnel und verschwindet dann hinter den Palmen des Antoni Parks. Es wird ein Bild sein wie ein Postkartenmotiv aus der Karibik. Nur die Sonne wird fehlen.

(Berliner Zeitung, 20. Juli 2004)

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