PORTRÄT EINES HELDEN ALS JUNGER TOR

Bravo

Originaltitel: Le journal d’un ingénu

Erstveröffentlichung: Spirou (Belgien)

Pseudonym: Bravo ist Émile Bravo

Deutsche Ausgabe: Carlsen 2009

Émile Bravos Porträt eines Helden als junger Tor ist schon ein seltsamer Gegenstand. Einerseits gehört das Album zu der Serie um zwei der berühmtesten Helden aus Europas Comic-Hochburg Belgien, andererseits ist es ein Solitär, die ganz individuelle Sicht eines Zeichners auf Spirou und Fantasio, zwei Charaktere, mit denen er sonst nicht verbunden ist – außer, dass Spirou und Fantasio natürlich aus keinem Kopf eines Kindes wegzudenken sind, das in den Sechziger- und Siebzigerjahren im französischen Sprachraum groß wurde.

Aber auch Spirou und Fantasio selbst ist ein Phänomen. Die Anfänge 1938 mit dem Zeichner Robert Velter kennen heute nur noch Spezialisten, nach dem Weltkrieg erlebte die Serie in den Fünfzigern und Sechzigern eine Sternstunde durch André Franquin und das von ihm dazu erfundene Marsupilami, und seitdem haben verschiedene Zeichner die Geschicke von Spirou und Fantasio gelenkt, einige mit Erfolg, andere nicht. Immer haben sich dabei nicht nur die Helden verwandelt, sondern auch ihr Kosmos wurde ein anderer. Und da es inzwischen ohnehin keine Kontinuität mehr zu wahren gab, fällte der belgische Verlag Dupuis 2005 den Entschluss, auch andere Zeichner Abenteuer entwerfen zu lassen, ganz nach ihren eigenen Vorstellungen.

Bravo (*1964) widmet sich Spirous Anfängen (die selbst den „Spezialisten“ noch immer Rätsel aufgegeben hatten), und führt den Leser zurück ins Jahr 1939, als Spirou – wie damals unter Velters Zeichenstift – in dem Brüsseler Hotel Moustique als Page arbeitet. Noch sind die Deutschen nicht einmarschiert, noch ist Spirou Fantasio noch nicht begegnet, und überall finden sich liebevoll eingestreute Zitate für den Kundigen: Da treten Figuren aus anderen Serien auf oder sehen aus wie ihre Zeichner, und es wimmelt von zeitgeschichtlichen Verweisen. Ein ganz großer, charmanter Comic-Spaß! ACK

(Paul Gravett, Hg.: 1001 Comics, die Sie lesen sollten, bevor das Leben vorbei ist, Edition Olms, Zürich 2012)

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